Wir können es uns nicht leisten, auf die PrEP zu verzichten
Interview mit Dr. Knud Schewe, Sprecher des dagnä-Vorstandes Nach der Jubiläums-Tagung 2015 kehrte zum 26. dagnä-Workshop 2016 die vermeintliche „Routine“ wieder ein: Welche Themen standen im Mittelpunkt? Was ist jetzt in der HIV-Prävention zu tun? Connexi-Interview mit Tagungsleiter und dagnä-Vorstandssprecher Dr. Knud Schewe. Herr Dr. Schewe, der 26. dagnä-Workshop wurde durch Prof. Hansjakob Furrer vom Inselspital in Bern eröffnet: „Schubladendenken“ war der Titel seines Vortrags. Wandelt die HIV-Medizin zu sehr auf ausgetretenen Pfaden und muss gegen den Strich gebürstet werden? Nein, das sicher nicht. Hansjakob Furrer hat aber eindrucksvoll aufgezeigt, dass der Patient und damit der medizinische Einzelfall im Mittelpunkt des ärztlichen Handelns bleiben müssen. Das gilt auch für die HIV-Medizin – HIV/Aids bleibt eine komplexe Erkrankung, für die es keine „Kombinationstherapie von der Stange“ gibt! Natürlich bleiben Leitlinien und Empfehlungen zum Therapiestart und zu optimalen Therapiestrategien elementar. Die HIV-Medizin ist ein gutes Beispiel, wie neue Erkenntnisse direkt in die Versorgung integriert werden. Denken Sie an die START-Studie … … eine internationale Studie, wonach eine antiretrovirale Therapie so frühzeitig wie möglich begonnen werden soll, selbst bei einem guten Abwehrsystem. Genau. Durch die START-Studie wird wissenschaftlich fundiert belegt, dass es besser ist, früh nach Diagnosestellung der HIV-Infektion eine Therapie einzuleiten. Mittlerweile sind fast 84 % der Patienten mit bekannter HIV-Infektion auf einer antiretroviralen Medikation. Die verbesserte Behandlung schlägt sich insgesamt in einer höheren Lebensqualität und -zeit von HIV-Positiven nieder. Das Problem ist aber eine zunehmende Zahl von Menschen, die von ihrer Infektion nichts wissen. Es müssen neue Wege bei Testkampagnen gefunden werden und der HIV-Test muss entmystifiziert und einfacher verfügbar werden. Wir müssen am Ball bleiben: Menschen mit HIV/Aids brauchen eine spezielle medizinische Betreuung. Aktuell öffnen sich durch die PrEP neue Wege in der Prävention. Sie sprechen die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) an, also die vorbeugende Einnahme von antiretroviralen Medikamenten durch HIV-negative Menschen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Momentan scheint sich im Bereich HIV/Aids alles um die PrEP zu drehen. Warum? Sie haben recht, die Welt-AIDS-Konferenz in Durban im Sommer 2016 war im Grunde eine PrEP-Konferenz. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Wirksamkeit der PrEP ist mittlerweile sehr gut dokumentiert, insbesondere bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Jetzt ist die Hoffnung groß, dass wir bei der Prävention einen Schritt weiterkommen. Nehmen Sie Deutschland: Wir haben eine grundsätzlich sehr gute Präventionsarbeit – Kondome, Aufklärung, „Treatment as Prevention“ – und im europäischen Vergleich geringe HIV-Neudiagnosen. Das Problem: Die Neuinfektionen sind konstant, teilweise sogar steigend. Trotz aller Erfolge existiert bei bestimmten Gruppen offenbar eine Schutzlücke. Partydrogen spielen hier eine große Rolle, vielleicht trägt der etwas verloren gegangene Schrecken mit dazu bei. Wir müssen pragmatisch sein: Neue Wege der Prävention wie die PrEP können helfen, und wir müssen sie nutzen. Wichtig: Es geht um eine Ergänzung, nicht um eine Konkurrenz zu den klassischen Präventionsangeboten. Viele Staaten haben bereits umfangreiche PrEP-Programme gestartet, Frankreich zum Beispiel. Die PrEP ist seit Ende 2016 verkehrsfähig: Was ist wichtig für Interessierte? Das Interesse ist da: Eine Umfrage der dagnä aus dem Frühjahr 2016 zeigt eine hohe Bekanntheit und Akzeptanz unter HIV-negativen Männern, die Sex mit Männern haben, vor allem in den Subgruppen, die eine hohe HIV-Neuinfektionsrate haben (Seite 24/25). Eine kleine Gruppe hat zudem bereits Erfahrungen mit der PrEP, allerdings, sehr bedenklich, dies nur sehr selten ärztlich begleitet. Wir dürfen nicht vergessen: PrEP-Arzneimittel sind nicht frei von Nebenwirkungen. Ein PrEP-Einsatz muss deshalb eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, regelmäßige ärztliche Kontrollen und Beratung durch HIV-Spezialisten etc. Interessierte sollten einen HIV-Spezialisten ansprechen! Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht: Bedeutet dies das Aus für die PrEP? Die Kostenfrage ist leider, wie so oft, die Gretchenfrage. Die PrEP ist nicht billig. Wenn die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen, dann sollte der Hersteller den Preis auf ein erheblich geringeres Preisniveau absenken. Das ist momentan leider unwahrscheinlich. Vielleicht bringt der Patentablauf des Wirkstoffs zukünftig hier eine Lösung. Aktuell haben wir aber ein Dilemma. Definitiv keine Lösung ist der Schwarzmarkt. Im Gegenteil, der Weiterverkauf der Medikamente durch bereits Infizierte wäre ein Riesenproblem! Wir brauchen dringend eine Lösung, denn wir können es uns nicht leisten, auf wirksame Präventionsmethoden zu verzichten. Was fordert die dagnä? Als HIV-Schwerpunktbehandler und ambulant tätige Infektiologen sprechen wir uns für einen gezielten Einsatz der PrEP bei den Gruppen aus, die davon einen Nutzen haben. Auch Kostenträger werden davon schlussendlich profitieren. Um aus dem gegenwärtigen Dilemma herauszukommen, brauchen wir ein regionales Modellprojekt, welches einen sinnvollen Rahmen zur Erprobung im deutschen Gesundheitssystem bietet. Auch eine Erweiterung der Schutzimpfungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wäre ein guter Ansatz. Parallel sollte eine Preissenkung erfolgen. Dafür werben wir zusammen mit den Aidshilfen und hoffen auf gesundheitspolitische Unterstützung. Als Handreichung für den Praxisalltag haben wir den dagnä-Praxisleitfaden überarbeitet: Er gibt Ärzten jetzt wichtige Hinweise zur Indikationsstellung, Beratung und Monitoring von Menschen, die eine PrEP einnehmen wollen. Außerdem neu im Praxisleitfaden: Kinderwunsch, Schwangerschaft und Menopause bei HIV-Positiven. Abseits der PrEP: Was wurde auf den großen Kongressen noch diskutiert? Die Welt-AIDS-Konferenz in Durban 2016 war stark politisch. Es ging darum, das Thema HIV in den Fokus des öffentlichen Interesses zu rücken und politische Kräfte und Ressourcen zu mobilisieren, um das WHO-Ziel zu erreichen, die HIV Epidemie bis 2030 zu beenden. Seit der Welt-AIDS-Konferenz 2000, die auch in Durban stattgefunden hatte, hat es enorme Fortschritte bei der Bekämpfung der Epidemie gegeben. In vielen Ländern Afrikas sind Aids-Sterblichkeit und Neuinfektionsraten rückläufig. Aber es gibt auch Hemmnisse: fragile Gesundheitssysteme, failed states, eine rückläufige Finanzierung aufgrund der Finanzkrise, Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-Infizierten bzw. Betroffenengruppen, um die wichtigsten zu nennen. Stichwort Versorgungsforschung: Welche Neuigkeiten gibt es bei den dagnä-Projekten? Die PROPHET-Studie, die wir zusammen mit der Universität Duisburg-Essen durchführen, biegt langsam auf die Zielgrade (Seite 23). Ende 2017 werden wir Ergebnisse zu Erfolgen und Kosten der verschiedenen HIV-Therapiestrategien präsentieren können. Ich möchte aber auch auf eine Studie unserer Arbeitsgruppe 3A zur HIV-Behandlung von Frauen in Deutschland hinweisen: Die Zahlen zeigen, dass im Jahr 2015 deutlich mehr HIV-infizierte Frauen therapiert wurden als noch 2008. Gleichzeitig ist der medizinische Outcome viel besser, der Anteil von Patientinnen mit einer Viruslast unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenzen stieg von 48 % auf 88 %! Das sind schöne Erfolge, die zeigen, dass sich das beharrliche Bemühen von Selbsthilfeprojekten und HIV-Schwerpunktärzten, etwa bei Migranten, auszahlt. Herr Dr. Schewe, vielen Dank für das Gespräch. Dr. Knud Schewe ist Sprecher des dagnä-Vorstandes. Bildcopyright:- mauritius images / Science Source / Dr. Cecil H. Fox Im Interview: Dr. med. Knud Schewe schewe@dagnae.de aus connexi 10-2016 8. bis 10. September 2016 in Köln 26. dagnä-Workshop 2016 Kongressbericht