Vaskuläre Neurologie
Anja Lamprecht
Update Schlaganfall im Kindesalter von Maja Steinlin, Bern Mit dem Wissen, dass Kinder im Vergleich zu jungen Erwachsenen weder mildere noch prognostisch bessere Verläufe bei Schlaganfall zeigen [1] und unter Berücksichtigung des noch vor ihnen stehenden ganzen Lebens sind die Erwartungen in Bezug auf wegweisende Forschungsergebnisse groß. Aber mit den großen Fortschritten im Bereich der Schlaganfalltherapie bei Erwachsenen kann leider der Schlaganfall im Kindesalter nicht ganz mithalten, obwohl das für die betroffenen Kinder von größter Wichtigkeit wäre. Es gibt nur wenige Studien, die Therapie bleibt eine große Herausforderung. Wie die Global-Burden-of-Disease-Studie zeigt, nimmt der Schlaganfall im Kindesalter weltweit zu. Dies ist verstärkt in den entwickelten Ländern zu beobachten, mit einer Steigerung der Prävalenz von 1990 bis 2013 von 71.750 auf 97.792 Betroffene. Dies wird einerseits auf die verbesserte Diagnostik zurückgeführt, aber insbesondere auch auf die Fortschritte der medizinischen Therapiemöglichkeiten mit einer Zunahme auch von Überleben nach Komplikationen [2]. Die Erwartungen an Fortschritte sind insbesondere im Therapiebereich verständlicherweise groß. Leider gibt es jedoch im pädiatrischen Bereich weiterhin nur wenige Studien: Die Suche bei „trial. gov“ zeigt unter dem Suchterminus „stroke“ 4.364 Hits, wohingegen bei „paediatric stroke“ nur gerade 20 gefunden werden. Neben einigen Therapiestudien im Bereich Sichelzellanämie finden sich vor allem Studien, die Rehabilitation und Reorganisation betreffen sowie epidemiologische Studien zu Themen wie Häufigkeit, Outcome und Koagulation. Nur zwei Therapiestudien im Bereiche des kindlichen Schlaganfalls außerhalb der Sichelzellanämie sind aufgeführt: TIPS (thrombolysis in paediatric stroke) und PASTA (Paediatric Arteriopathy Steroid Aspirin Trial). Die TIPS-Studie musste leider im Jahre 2015 geschlossen werden, da nach Screening von 93 Patienten kein Kind eingeschlossen werden konnte [3]. Bei 54 % der vom Screening erfassten Kinder zeigte sich das bekannte Problem des kindlichen Schlaganfalles: Stroke Mimics und keine Ischämie. Bei 22 % bestand eine Kontraindikation, bei 21 % war das Zeitfenster bereits geschlossen und/oder der pedNIH war tiefer als das Einschlusskriterium von 6. Das zeigt, dass eine frühe korrekte Diagnose beim kindlichen Schlaganfall wichtig ist, um Mimics zu erkennen, das Zeitfenster zu verkleinern und bereits bei primärer Abklärung Hinweise auf Kontraindikationen zu finden. Zwei Studien − eine regionale aus Frankreich und eine populationsbasierte vom schweizerischen Schlaganfallregister für Kinder – zeigen bei 13 resp. 16 Kindern, dass eine Rekanalisationstherapie bei Kindern möglich, so sicher wie bei Erwachsenen und auch erfolgreich sein kann [4, 5]. Um eine sichere Antwort zur Indikation zu finden waren beide Studienzahlen leider zu klein. Relevanz von Triggern für Therapieoptionen Im Bereich des kindlichen Schlaganfalls stellt sich gegenüber dem Schlaganfall von Erwachsenen die Frage, ob die mannigfachen Trigger, welche zum Schlaganfall führen, maßgeblich die Therapieoptionen mit beeinflussen. Neben den Kindern mit kardialer Grundkrankheit (ca. 30 %) zeigt sich vor allem die Subgruppe der Arteriopathien, hier vor allem die inflammatorischen Ursachen, die Dissektionen und eine wachsende Gruppe von genetisch bedingten Arteriopathien. In den letzten Jahren ist das Wissen im Bereich der infektions-/inflammationsgetriggerten kindlichen Schlaganfälle gestiegen; als klassisches Beispiel die transiente fokale Arteriopathie (TCA), welche 30 % der Arteriopathien im Kindesalter ausmacht: Eine durch eine parainfektiöse Reaktion ausgelöste arterielle Stenosierung [6]. Das Ausmaß der Kontrastmittelanreicherung bei der Gefäßdarstellung ist ein prädiktiver Faktor für die Progression im Frühverlauf [7]. Über Monate zeigt sich jedoch eine Regredienz oder Stabilisierung der Stenose. Neben Varizellen (1/3 der Fälle) sind andere Erreger wie Borreliose, Parvoviren, Mycoplasmen oder Enteroviren im Rahmen von TCA gefunden worden. Die VIPS-Studie (Vascular Effects of Infection in Pediatric Stroke) zeigte interessanterweise, dass bei 30 % der Kinder mit akutem Schlaganfall eine kürzlich erworbene Herpesinfektion (bei 11 % Varizellen, bei 6 % CMV) vorliegt, welche das Risiko eines Schlaganfalles verdoppelt hat [8]. Als zusätzlicher Hinweis auf einen infektionsgetriggerten Effekt des kindlichen Schlaganfalles konnte nachgewiesen werden, dass das Risiko eines Schlaganfalles durch eine Infektionserkrankung in der vergangenen Woche (Odds ratio 6) resp. das Vorliegen eines mangelhaften Impfschutzes (Odds ratio 8) signifikant erhöht wird. Weitere Hinweise für die Wichtigkeit der inflammatorischen Effekte beim kindlichen Schlaganfall zeigen sich in mehreren Studien mit Nachweis von inflammatorischen Biomarkern, wobei das Profil in drei Studien unterschiedlich war, ob ein kardiogener Embolus oder aber eine Arteriopathie dem Schlaganfall zu Grunde liegen [9]. Dieser inflammatorische Einfluss hat die Frage nach einer spezifischen antiinflammatorischen Therapie aufgeworfen. In einer retrospektiven Studie von Kindern nach einer TCA konnte das outcome durch Steroidtherapie in der Akutphase leicht verbessert werden. Eine Therapiestudie, um Klarheit darüber zu finden, ob die Steroidtherapie für diese Kinder wirklich indiziert ist, wird immer dringender. Insbesondere auch, da unter der derzeitigen Wissenslage immer mehr Kinder diese Therapie ohne Evidenz erhalten. Ein anderes sich öffnendes Gebiet des Fortschrittes besteht im Bereich der genetisch bedingten Arteriopathien [9]: Verschiedene genetisch bedingte Grunderkrankungen wie Neurofibromatose und Alagillesyndrom sind bekannt gehäuft mit Arteriopathien verknüpft. Die Moyamoyaerkrankung ist durch die Entdeckung des Ringfingergens 213 (inflammatorisches als auch angiogenetisches Signal) in die Gruppe der genetisch bedingten Arteriopathien aufgenommen worden. Daneben zeigen Krankheitsbilder wie ACTA II oder ADA 2, zwei Formen genetisch bedingter Arteriopathien mit phenotypischem Bild, wie wichtig die Genetik in diesem Bereich ist und immer deutlicher wird. Fazit Der kindliche Schlaganfall stellt uns vor viele Herausforderungen, die nur teilweise mit dem Schlaganfall im Erwachsenenalter vergleichbar sind. Referenzen: Goeggel Simonetti B, Cavelti A, Arnold M, et al. Neurology 2015;84:1941−1947. Krishnamurthi RV, deVeber G, Feigin VL et al , GBD 2013 Stroke Panel Experts Group. Neuroepidemiology 45: 177−189 (2015). Bigi longterm Rivkin MJ, deVeber G, Ichord RN et al. Stroke 2015;46:880-885. Tabone L, Mediamolle N, Bellesme C et al. Stroke 2017;48(8):2278−2281. Bigi S, Dulcey A, Gralla J et al. Ann Neurol. 2018 https://doi.org/10.1002/ana.25242. Braun KP, Bulder MM, Chabrier S et al. Brain 2009;132: 544–557. Stence NV, Pabst LL, Hollatz AL et al. Stroke 2017;48:2274–2277. Elkind MS, Hills NK, Glaser CA et al VIPS Investigators*. Circulation 2016;133:732−741. Mark T Mackay and Maja Steinlin. Int J Stroke 2018;14:1,32-43. Bild Copyright: iStockphoto® CreVis2 Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge in unserer Online-Ausgabe. Autorin: Prof. Dr. med. Maja Steinlin maja.steinlin@insel.ch aus connexi 3-2019 NEUROLOGIE, NEUROINTENSIVMEDIZIN Neurowoche 2018, ANIM 2019 Kongressberichte Titelbild Copyright: Alexey Kashpersky, Ukraine; Fotolia® Johan Swanepoel. Gestaltung: Jens Vogelsang