Typ-1-Diabetes
Anja Lamprecht
Medikamentöse Add-on-Behandlung zusätzlich zu Insulin von Thomas Danne, Hannover Typ-1-Diabetes zeichnet sich durch einen absoluten Insulinmangel aus, der durch Autoimmunzerstörung von -Zellen verursacht wird [1]. Seit 1922 ist Insulin die einzige zugelassene Therapie bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes. Im Laufe der Jahre haben Verbesserungen des Insulins (z. B. rekombinante Formulierungen gegenüber Schweine- oder Rinderinsulin) in Verbindung mit Blutzuckerselbstkontrolle, Diabetesschulung und einer intensivierten Insulintherapie zu einer Verringerung der mikrovaskulären Langzeitkomplikationen mit verbesserter Prognose geführt [2, 3]. Das Risiko für frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist jedoch weiterhin erheblich erhöht [4]. Dabei erreichen auch in Deutschland immer noch über die Hälfte besonders der jüngeren Patienten nicht die Therapieziele und sind zudem durch Nebenwirkungen der Insulintherapie wie Hypoglykämien und Entwicklung von Übergewicht bedroht [3]. Es besteht also trotz aller Fortschritte weiterhin ein großer Bedarf an Therapieverbesserung beim Typ-1-Diabetes. Wirkung der SGLT-Hemmer auch bei Typ-1-Diabetes Bislang war die Substanzgruppe der sogenannten SGLT2-Hemmer (z. B. Canagliflozin (Invokana®, Dapagliflozin (Forxiga®) oder Empagliflozin (Jardiance®) zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes zugelassen. Dies sind blutzuckersenkende Wirkstoffe, die zu einer verstärkten Ausscheidung der Glukose über den Harn führen. Ihre Wirkungen sind im Unterschied zu anderen Antidiabetika von Insulin unabhängig. Die Effekte beruhen auf der Hemmung des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 (SGLT2) an der Niere, welcher für die Wiederaufnahme der Glukose aus dem Harn in den Blutkreislauf verantwortlich ist. Schon seit Längerem wurde darüber nachgedacht, SGLT2-Hemmer auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes einzusetzen. Während SGLT2 wie bei den für Typ-2-Diabetes zugelassenen Medikamenten für die Glukosereabsorption durch die Niere zuständig ist, hemmt Sotagliflozin lokal auch SGLT1, welches dort für die Glukoseabsorption im Magen-Darm-Trakt verantwortlich ist. Da beim Typ-1-Diabetes besonders auch die Blutzuckeranstiege nach dem Essen schwierig zu behandeln sind, könnte sich ein dualer SGLT1- und SGLT2-Hemmer bei dieser Patientengruppe besonders eignen. Schließlich ist SGLT1 ein wichtiger Transporter für die Absorption von Glukose und Galactose im Magendarmtrakt, und eine langsamere Zuckeraufnahme im Darm könnte einen besseren Blutzuckerverlauf bewirken (Abbildung 1) [5, 6]. Abbildung 1: Effekte einer SGLT-Hemmung bei Diabetes. . Eine Tablette zusätzlich zum Insulin beim Typ-1-Diabetes ? Bereits 2017 hatten die ersten Forschungsergebnisse bei Erwachsenen für Aufsehen gesorgt. Inzwischen liegen vergleichbare Studienergebnisse für drei Substanzen vor (Tabelle) [7–12]. Mitte Februar 2019 titelte die europäische Zulassungsbehörde EMA in ihrer Presseerklärung: „Erste orale Zusatzbehandlung mit Insulin zur Behandlung bestimmter Patienten mit Typ-1-Diabetes“ [13]. Dabei ging es um den SGLT2-Hemmer Dapagliflozin. Dieser wurde inzwischen unter dem Markennamen Forxiga® 2019 in der EU für Typ-1-Diabetes zugelassen. Ende Februar 2019 wurde eine vergleichbare Empfehlung für Sotagliflozin (Zynquista®) ausgesprochen [14], und auch diese Substanz hat inzwischen die Zulassung für Diabetes Typ 1 erhalten. Natürlich kann eine solche Behandlung bei Typ-1-Diabetes nur ergänzend zum Insulin erfolgen, und die Insulintherapie muss immer trotz einer Behandlung mit SGLT-Inhibitoren fortgesetzt werden. Nach einer Bewertung der Daten aus neuen klinischen Studien wurde die Zulassung nun auf bestimmte Patienten mit Typ‑1-Diabetes erweitert, wenn bei ihnen das Insulin allein trotz optimaler Insulintherapie keine ausreichende Kontrolle des Blutzuckerspiegels bietet. Patienten, die für diese Behandlung in Betracht gezogen werden, sollten bestimmte Anforderungen erfüllen und keinen Body-Mass-Index (Gewicht in kg/Länge in m², BMI) unter 27 kg/m² aufweisen. Behandlung birgt erhöhtes Ketoazidoserisiko Bereits Ende letzten Jahres war in Japan das nicht in Europa erhältliche Ipragliflozin aus der gleichen Substanzgruppe von der dortigen Behörde PMDA für Typ-1-Diabetes zugelassen worden, während die Anhörung für Sotagliflozin bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zu einem Patt bei der Abstimmung über die Abwägung von Nutzen und Risiko geführt hat und somit Unklarheit herrscht. Ein Blick auf die Studiendaten zeigt, warum sich die Zulassungsbehörden schwer tun. Die Einnahme dieser Tablette führt bei vielen Patienten zu einer Erhöhung der Ketonwerte im Blut. Kommt es zum Beispiel im Rahmen eines Katheterproblems bei der Pumpentherapie oder einem relativen Insulinmangel im Rahmen eines Infekts zu einem Anstieg der Ketonwerte, steigt der Blutzucker gleichzeitig durch die SGLT2-Hemmerbehandlung nicht wie gewohnt stark an. Somit kann die übliche Warnung, dass eine Ketoazidose droht, fehlen. Weil bei Auftreten von weiteren Ketoazidose-Risikofaktoren (z. B. Reduktion der Insulindosis, Krankheit, „low-carb“-Diäten, körperliche Belastung, Pumpenkatheterprobleme) schneller einer Ketoazidose entsteht, ist es wichtig, bereits vor einer solchen Behandlung über mindestens eine Woche Blutketone zu messen, damit man später den Behandlungseffekt eines SGLT-Hemmers zusätzlich zum Insulin beurteilen kann. Die Ketoazidosegefahr lässt sich nur durch eine Bestimmung der Ketonwerte mit einer Blut- oder Urinmessung erkennen, die bei Durchführung einer solchen Therapie immer rasch verfügbar sein muss. Tatsächlich zeigte sich in den Studien ein bis zu achtfach erhöhtes Ketoazidoserisiko [15]. SGLT-Hemmer: Ketoazidose trotz fast normalem Blutzucker Die meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes, die mit einer Ketoazidose im Krankenhaus landen, haben im entscheidenden Moment nicht daran gedacht. Die klassischen Zeichen Übelkeit, Bauchschmerzen, trockener Mund, vertiefte Atmung werden oft mit anderen Ursachen als Insulinmangel bei Diabetes in Verbindung gebracht. Mit einer zusätzlichen Einnahme von SGLT-Hemmern zum Insulin kann es zu einer euglykämischen Ketoazidose kommen – einer „verdeckten“ Ketoazidose bei normalen oder nur wenig erhöhten Glukosespiegeln, weil die Glukosespiegel durch eine Steigerung der Zuckerausscheidung durch den Urin insulinunabhängig gesenkt werden. Eine Schulung zur Ketoazidose findet zwar am Anfang der Diabeteserkrankung statt, Streifen zur Messung von Urin- oder Blutketonwerten sind auch meistens vorhanden, aber im entscheidenden Moment wird die Ketonbestimmung nicht oder zu spät durchgeführt. Denn wenn erst einmal Erbrechen eingesetzt hat, ist meistens ein Krankenhausaufenthalt unvermeidlich. Bei Menschen mit Diabetes ist daher die Ketonmessung wichtiger als eine Flash-Glukose-, CGM- oder Blutzuckermessung, um einen gefährlichen Insulinmangel festzustellen. Die Urinketonmessung zeigt eine Ketoazidose später an und weist nur mit Verzögerung eine erfolgreiche Behandlung nach. Insbesondere für Menschen, die durch eine Insulinpumpenbehandlung durch ein Katheterproblem rasch in einen Insulinmangel kommen können oder durch eine Behandlung mit einem SGTL-Inhibitor zusätzlich zum Insulin ein erhöhtes Risiko für eine Ketoazidose haben, sollten daher Ketonkörper vorzugsweise im Blut bestimmen, weil das eine Echtzeiterfassung der relevanten Veränderungen der Ketonspiegel ermöglicht. Warum eine eingeschränkte Zulassung? Patienten, die an den Studien teilnahmen, berichteten insbesondere über wesentlich weniger Glukoseschwankungen [16]. Insgesamt zeigten sich mit der Zusatzbehandlung beim kontinuierlichen Glukosemonotoring bis zu drei Stunden mehr Zeit im Zielbereich. Das EMA-Komitee schränkte seine Empfehlung als Zusatztherapie zur Insulinbehandlung auf übergewichtige Erwachsene mit Typ-1-Diabetes mit einem BMI über 27 kg/m² ein. Nach Einschätzung der Experten der Behörde ergeben sich in dieser Patientengruppe bei der Abwägung zwischen dem durch diese Behandlung beobachteten höheren Risiko für eine Ketoazidose und den möglichen positiven Behandlungseffekten, wie größerer Zeit der Glukosewerte im Zielbereich, niedrigerem HbA1c-Wert ohne erhöhte Hypoglykämierate, Gewichtsabnahme oder auch besseren Blutdruckwerten bei Bluthochdruck Vorteile durch die Zusatzbehandlung. Mit der eingeschränkten Zulassung für Patienten mit Übergewicht bezwecken die Zulassungsbehörden wahrscheinlich ein Signal, dass diese Medikamentengruppe wegen des erhöhten Ketoazidoserisikos nicht für alle Patienten mit Typ-1-Diabetes in Frage kommt. Übergewichtige haben im Allgemeinen eine höhere Insulindosis und könnten daher weniger schnell in einen Insulinmangel kommen. Der Empfehlung liegt möglicherweise auch die Überlegung zu Grunde, dass bei höherem BMI die positiven Effekte auf das Gewicht besonders zum Tragen kommen. Das „STICH“-Protokoll Tritt eine Situation mit erhöhten Keton-Werten während einer Behandlung mit SGLT-Hemmern auf, sollte das „STICH“-Protokoll [15, 17] verfolgt werden: Stoppen: im Zweifel den SGLT-Hemmer nicht nehmen, damit die Ketonbildung reduziert wird. Insulin: auch bei nicht deutlich erhöhtem Zucker braucht man Insulin, damit die erhöhten Ketone im Stoffwechsel „verbrannt“ werden. C(K)ohlenhydrate: 15–30 g schnell resorbierbare Kohlenhydrate zum Insulin aufnehmen, auch wenn man wegen Übelkeit keinen richtigen Appetit hat, sonst können die Ketonwerte nicht verstoffwechselt werden. Hydratation: Flüssigkeitsaufnahme (300–500 ml) pro Stunde. Ein Kontrolle der Ketonwerte zeigt insbesondere bei der Blutketonmessung rasch an, ob die Maßnahmen Erfolg haben. Tritt Erbrechen auf oder sinken die Ketonwerte nicht ab, sollte Kontakt mit dem Diabetesteam aufgenommen werden. Ausblick Nach der gerade erfolgten Zulassung durch die Kommission werden nun Entscheidungen über Preis und Erstattung auf Ebene jedes Mitgliedstaats getroffen. Abzuwarten sind auch die Materialien, die zur Patienteninformation und Schulung bei einer Markteinführung vom Hersteller zur Verfügung gestellt werden, um eine größtmögliche Sicherheit der Behandlung sicherzustellen. Der Erfolg der oralen Zusatztherapie des Typ-1-Diabetes mit SGLT-Hemmern wird entscheidend davon abhängen, inwieweit es gelingt, das Ketoazidoserisiko durch Auswahl der geeigneten Patienten und intensive Schulung zur Ketoazidoseprävention zu minimieren, damit die Patienten vom unbestrittenen Nutzen profitieren können – insbesondere der Reduktion von Glukoseschwankungen, mehr Zeit im Zielbereich und einer langfristig möglicherweise verbesserten kardiovaskulären Prognose. Dies müssen jetzt weitere Studien zeigen. 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