Thrombo-Inflammation
Anja Lamprecht
Thrombozyten im akuten Schlaganfall von Guido Stoll Schlaganfälle verursachen schwere und bleibende körperliche Behinderungen und stellen eine der häufigsten Todesursachen dar. Etwa zwei Drittel aller Schlaganfälle beruhen auf Störungen der Hirndurchblutung, das andere Drittel stellen primäre Hirnblutungen dar. Die folgende Übersicht behandelt nur ischämische Schlaganfälle, die wiederum überwiegend durch Embolien aus dem Herzen (vor allem bei Vorhofflimmern) oder aus destabilisierten arteriosklerotischen Gefäßstenosen extrakranieller Gefäße hervorgerufen werden. Wir gingen der Frage nach, wie durch neue, „blutungsfreie“ Antithrombotika die Prognose von Schlaganfallpatienten verbessert werden könnte. Verschleppte Thromben führen zu einem akuten Verschluss eines hirnversorgenden Hauptgefäßes, wie z. B. der Arteria carotis media (ACM) oder der Arteria carotis interna (ACI). Vordringliches Ziel der akuten Schlaganfallbehandlung ist die schnelle Wiederherstellung der Blutzirkulation im Gehirn. Hierfür wird seit 1995 die medikamentöse Thrombolyse mit rekombinantem Gewebsplasminogen-Aktivator (rt-PA) innerhalb eines Zeitfensters von bis zu 4,5 Stunden nach Symptomenbeginn eingesetzt, mit allerdings mäßigem Erfolg gerade bei ACI- oder ACM-Verschlüssen. Seit 2015 ist die Thrombektomie in Kombination mit rt-PA der Goldstandard, bei der die Thromben mit einem Stentretriever mechanisch entfernt werden [1]. Die Rekanalisationsraten betragen hier im Zeitfenster bis sechs Stunden und teilweise länger bis zu 80 %, die „Number Needed to Treat“ liegt aber zeitabhängig bei etwa 4, d. h. zwei von drei erfolgreich rekanalisierten Patienten profitieren von der Behandlung nach wie vor nicht. Diese alarmierende Diskrepanz wirft Fragen nach den Ursachen auf, die im Rahmen des SFB* bearbeitet wurden. Das sogenannte „No-reflow“-Phänomen, eine Beeinträchtigung der Mikrozirkulation trotz Wiederherstellung des Blutflusses in den großen Gefäßen, wurde schon vor über 50 Jahren beschrieben und bezeichnet die überraschende Tatsache, dass Rekanalisation nicht zwingend zu einer Reperfusion führt, insbesondere im Bereich der kleinen Hirngefäße. Darüber hinaus induziert die Reperfusion selbst paradoxerweise eine Gewebeschädigung, die als Ischämie/Reperfusionsschaden (I/R-Schaden) bezeichnet wird und alle Organe betrifft. Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie des I/R-Schadens Im Rahmen des SFB 688 haben wir uns mit der Frage beschäftigt, welche Mechanismen dem I/R-Schaden im Gehirn nach ischämischem Schlaganfall zugrunde liegen. Wir haben die menschliche Situation bei der Maus simuliert, indem wir mit einem Faden die ACM für eine Stunde unterbunden haben. Trotz Rekanalisation nach Fadenzug entwickeln die Mäuse innerhalb der nächsten acht Stunden vollständige Mediainfarkte. Unter Einsatz molekularer und pharmakologischer Modelle der Thrombozytenfunktion konnten wir zeigen, dass die Blockade der frühen reversiblen Adhäsion über den thrombozytären Glycoproteinrezeptor (GP) Ib und dessen Bindungspartner von Willebrandfaktor (vWF) vor dem einsetzenden Reperfusionsschaden schützt [2]. Ähnliche therapeutische Effekte ließen sich durch Hemmung des Kollagenrezeptors GPVI erzielen. Überraschenderweise war die Hemmung der Thrombozytenaggregation über GPIIb/IIIa therapeutisch wirkungslos und zudem mit massiven Hirnblutungen assoziiert. Dies entspricht den klinischen Erfahrungen mit GPIIb/IIIa-Inhibitoren beim Schlaganfall, selbst Aspirin erhöht die Blutungsgefahr, nicht aber eine GPIb/GPVI-Blockade im experimentellen Setting. Die unterschiedliche Blutungsneigung unterstreicht die Bedeutung einer Restthrombozytenfunktion für die Hämostase im ischämischen Gehirn. Wir konnten weiter zeigen, dass sich die Blutungsneigung in Organen, wie dem Gehirn, der Lunge und Haut, unterscheidet, lokale Entzündungsprozesse das Auftreten von Spontanblutungen begünstigen, und dabei andere Thrombozytenaktivierungswege die Blutstillung gewährleisten als nach Gewebetraumata [3]. Thrombozyten und Immunsystem Wir konnten einen entscheidenden Beitrag von Thrombozyten zum Reperfusionsschaden nach zerebralen Ischämien eindrücklich belegen. Wir konnten aber auch zeigen, wie wichtig dabei eine „residuelle“ Thrombozytenfunktion zur Prävention von Hirnblutungen ist. Die minimalen Erfordernisse an die Thrombozyten hierfür sind derzeit Gegenstand intensiver weiterer Untersuchungen. Die Pathophysiologie des Reperfusionsschadens nach zerebraler Ischämie birgt aber weitere Überraschungen in sich: Entgegen der allgemeinen Erwartung führt die Thrombozytenaktivierung nach Rekanalisation nicht einfach zu einer sekundären Thrombosierung der Mikrozirkulation, sondern wahrscheinlich zu einer primären Schädigung des Hirnparenchyms, dessen genauer Mechanismus bis heute ungeklärt ist. Hier kommt überraschenderweise neben Thrombozyten das Immunsystem ins Spiel [4]. Immundefiziente Mäuse sind vor dem I/R-Schaden nach Schlaganfall ebenso geschützt wie Wildtypmäuse nach Thrombozytenblockade. Transferiert man diesen immundefizienten Mäusen T-Zellen, geht der Schutz vor Schlaganfällen wieder verloren. Die schädigenden Effekte der T-Zellen wiederum sind abhängig von der Präsenz von Thrombozyten, erfordern aber keine spezifische immunologische Aktivierung wie bei klassischen Autoimmunerkrankungen. Aufgrund der Ergebnisse im SFB 688 wurde in Würzburg der nunmehr international etablierte Begriff der „Thrombo-Inflammation“ geprägt, der ein Zusammenspiel von Thrombozyten und Immunzellen im zuvor ischämischen Hirnparenchym als Effektormechanismus der Hirnschädigung postuliert [5]. Trotz eines noch unvollständigen Verständnisses dieser Zell-Zellinteraktionen lassen sich jetzt schon vielversprechende Therapieansätze in der Reperfusionsphase nach zerebraler Ischämie ableiten, z. B. die Blockade von GPIb/VWF-Interaktionen, die Interferenz mit GPVI und die Hemmung von thrombo-inflammatorischen Signalkaskaden um den Gerinnungsfaktor XII [6,7] als Alternative zu konventionellen Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien, die wegen der erhöhten Blutungsgefahr nicht in Betracht kommen. Entsprechende innovative „blutungsarme“ Inhibitoren befinden sich in der klinischen Entwicklung [7]. (s. auch Beitrag B. Nieswandt in dieser Ausgabe) Unsere Ergebnisse sind einer engen Zusammenarbeit der Neurologischen Universitätsklinik mit dem Lehrstuhl für Vaskuläre Biologie am Rudolf-Virchow-Zentrum, Prof. Dr. Bernhard Nieswandt, zu verdanken. Es ist damit gelungen, pharmakologische und transgene Modelle grundlegender Thrombozytenfunktionen auf klinisch brennende Fragestellungen in der Schlaganfallmedizin zu übertragen, in der Hoffnung, durch neue, „blutungsfreie“ Antithrombotika die Prognose von Schlaganfallpatienten nach mechanischer Thrombektomie mittelfristig verbessern zu können. Referenzen Grotta JC, Hacke W. Stroke Neurologist‘s Perspective on the New Endovascular Trials. Stroke; a journal of cerebral circulation 2015;46: 1447−1452. Stoll G, Kleinschnitz C, Nieswandt B. Molecular mechanisms of thrombus formation in ischemic stroke: novel insights and targets for treatment. Blood 2008;112: 3555−3562. Deppermann C, Kraft P, Volz J et al. Platelet secretion is crucial to prevent bleeding in the ischemic brain but not in the inflamed skin or lung in mice. Blood 2017;129: 1702−1706. Kleinschnitz C, Schwab N, Kraft P et al. Early detrimental T-cell effects in experimental cerebral ischemia are neither related to adaptive immunity nor thrombus formation. Blood 2010;115: 3835−3842. Nieswandt B, Kleinschnitz C, Stoll G. Ischaemic stroke: a thrombo-inflammatory disease? The Journal of physiology 2011; 589: 4115−4123. Kleinschnitz C, Stoll G, Bendszus M et al. Targeting coagulation factor XII provides protection from pathological thrombosis in cerebral ischemia without interfering with hemostasis. The Journal of experimental medicine 2006; 203: 513−518. Hagedorn I, Schmidbauer S, Pleines I et al. Factor XIIa inhibitor recombinant human albumin Infestin-4 abolishes occlusive arterial thrombus formation without affecting bleeding.Circulation 2010;121: 1510−1517. Bild Copyright: Science Photo Library / Steve Gschmeissner Autor: Univ.-Prof. Dr. Guido Stoll stoll_g@ukw.de aus connexi 4-2018 Kardiologie aus connexi 3-2018 Neurologie Titelbild Copyright: David Lohr/Laura Schreiber (DZHI, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg) Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen