Therapeutischer Durchbruch

von Christian Hugo, Dresden   Therapeutischer Durchbruch SGLT-2-Blockade bei diabetischer Nephropathie   Zirka 10 % der deutschen Bevölkerung leiden an Diabetes mellitus und die diabetische Nephropathie ist in der westlichen Welt unverändert der Hauptgrund für die Entstehung einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz. Trotz Einführung neuer antidiabetischer Arzneimittelklassen in den letzten 15 Jahren zeigen die Daten der DETECT-Studie, dass fast 40 % der in Allgemeinarztpraxen behandelten deutschen Typ-2-Diabetiker mit einem HbA1c-Wert >7,0 % außerhalb des Therapie-Zielbereiches sind bzw. bleiben [1].   Das für Typ-2-Diabetiker spezifische, ca. zweifach erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (ischämischer Apoplex, KHK) konnte durch derzeitige antidiabetische Therapeutika nicht überzeugend verbessert werden. Gleichzeitig werden die Zielwerte für die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren bei vielen Patienten verfehlt (65 % bei RR-Werten >140/90, 80 % Übergewicht/Adipositas) [2, 3].   Arzneimittelgruppe der Gliflozine   Diese Ausgangslage spricht dafür, dass dringend neue Therapieansätze zur Behandlung des Diabetes und der diabetischen Nephropathie benötigt werden. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die Nieren nicht nur Opfer der diabetischen Hyperglykämie sein können, sondern dass sie durch glomeruläre Filtration und tubuläre Rückresorption von Glukose einen entscheidenden Beitrag zur Glukosehomöostase leisten. Erst in den letzten Jahren konnten die verantwortlichen Transportproteine (SGLT-1 und -2) identifiziert und charakterisiert sowie wirksame Medikamente aufgrund dieses neuen Wirkmechanismus entwickelt werden. Neunzig Prozent der physiologischen Glukoserückresorption erfolgt über den Natrium-Glukose-Kotransporter SGLT-2 im proximalen Tubulusepithel, während 10 % weiter distal von SGLT-1 rückresorbiert werden. Beim Überschreiten der maximalen Rückresorptionskapazität von SGLT-2 und SGLT-1 wird Glukose über die Nieren ausgeschieden. Physiologischerweise geschieht dies ab einer Serumglukosekonzentration von 10 mmol/l (Nierenschwelle). Beim hyperglykämischen Diabetiker wird aufgrund einer erhöhten Aktivität des Natrium-Glukose-Kotransporters SGLT-2 im proximalen Tubulusepithel der Nieren paradoxerweise sogar vermehrt Glukose rücksorbiert, was zur Aufrechterhaltung der Hyperglykämie beiträgt. Umgekehrt kann durch die Blockade des SGLT-2-Transporters mittels der Arzneimittelgruppe der Gliflozine (Canagliflozin, Dapagliflozin, Empagliflozin) die Nierenschwelle für die Glukoseausscheidung proportional zur Hyperglykämie gesenkt werden [4, 5]. So beträgt die HbA1c-Senkung von Empagliflozin-Monotherapie (25 mg/Tag) 0,85 % bei einem HbA1c-Ausgangswert von ca. 8 % und bis zu 3,7 % bei HbA1c-Ausgangswerten zwischen 11 und 12 [6–9]. Sowohl für die Mono- als auch für die Kombinationstherapie mit verschiedenen anderen Antidiabetika inklusive Insulinist die Wirksamkeit und Sicherheit der Gliflozine nachgewiesen, was auch zur Zulassung dieser Medikamentengruppe in Mono- und Kombinationstherapie führte.   Gliflozine besitzen kein substanzeigenes Hypoglykämierisiko und zeigen kaum Interaktionen mit anderen Medikamentengruppen. Über die Glukosurie wird insbesondere zu Beginn eine milde osmotische Diurese erzeugt, die allerdings nach einigen Tagen bereits nicht mehr signifikant ist. Beachtenswert sind v. a. eine gehäufte Inzidenz von Infektionen des Genitaltrakts (ca. 4 % vs. <1 % für Placebo-behandelte Patienten), die sich für alle Gliflozine findet.   Interessanterweise wirken die Gliflozine über die tägliche Glukosurie von ca. 80 g nicht nur antidiabetisch, sondern auch „antimetabolisch“. Empagliflozin führt z. B. zu einem bleibenden Gewichtsverlust von ca. 2–3 kg, einer mittleren Blutdrucksenkung von 3–5 mmHg, einer Verminderung der Plasmaharnsäure von 0,6 mg/dl bei gleichzeitig weitgehender Neutralität bezüglich des Lipidprofils [6–10].     EMPA-REG-OUTCOME-Studie   Seit den Erfahrungen mit der Einführung der Glitazone ist aus Sicht der Zulassungsbehörden bei Antidiabetika immer eine Nichtinferioritätsstudie bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte vorgeschrieben. Die multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde EMPAREG-OUTCOME-Studie testete genau diese Frage bei mehr als 7000 Typ-2-Diabetikern mit kardiovaskulärem Hochrisikoprofil für den Wirkstoff Empagliflozin zusätzlich zur sogenannten Standard-of-Care-Therapie [11]. Eingeschlossen wurden unbehandelte Patienten mit HbA1c-Werten ≥7,0 und ≤9,0 % oder Patienten mit blutzuckersenkender Therapie mit HbA1c-Werten ≥7,0 und ≤10,0 %. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von nur 3,1 Jahren wurden genügend Ereignisse bezüglich des primären Endpunktes (3P-MACE aus kardiovaskulär-bedingtem Tod, Myokardinfarkt, Apoplex) beobachtet, um die Studie zu beenden. Erstaunlicherweise zeigte die Hinzugabe von Empagliflozin nicht nur eine Nichtunterlegenheit, sondern sogar eine Überlegenheit bezüglich des primären Endpunktes [12]. Durch Empagliflozin günstig beeinflusst wurde sowohl die generelle als auch die kardiovaskulär-bedingte Todesrate sowie die Herzinsuffizienz-bedingte Hospitalisierungsrate, die jeweils eine relative Risikoreduktion von ca. 35 % aufwiesen. Nicht beeinflusst wurde das Auftreten von nicht-tödlichen Herzinfarkten und ischämischen Schlaganfällen. Die Kaplan-Meier-Ereigniskurven für Plazebo- und Empagliflozinbehandelte Patienten trennten sich (wenn dann) früh innerhalb von wenigen Monaten, so dass die bessere Blutzuckereinstellung durch Empagliflozin als Ursache der Mortalitätssenkung ausscheidet. Die Summe der verschiedenen „antimetabolischen“ Effekte von Empagliflozin könnte für dieses Ergebnis verantwortlich sein, wobei aber auch ganz neue zusätzliche Wirkmechanismen für diese Substanzgruppe exploriert werden sollten.     Renoprotektive Effekte   Sekundäre Endpunkte der EMPA-REG-OUTCOME-Studie schließen die kardiovaskulären Hospitalisierungen (4P-MACE), aber auch Nieren- und Augenschädigungen ein. Verschiedene präklinische Experimente bei Ratten und Mäusen zeigen bereits das Potential der SGLT-2-Inhibition für die Verhinderung der diabetischen Nephropathie. In eigenen Studien unter Benutzung der Typ-2-diabetischen BTBR-ob/ob-Maus konnte der Wirkmechanismus von Empagliflozin mit Blutglukosesenkung durch verstärkte Ausscheidung von Glukose über den Urin überzeugend demonstriert werden. Dies war von einer deutlichen Verminderung der Albuminurie, der glomerulären Hyperfiltration und anderer histologisch nachzuweisender Veränderungen der diabetischen Nephropathie wie einer glomerulären Matrixexpansion und der Expression von inflammatorischen Zytokinen begleitet. Ganz ähnliche protektive Effekte zeigte Empagliflozin, wenn diese üblicherweise normotensiven BTBR-ob/ob-Mäuse zusätzlich mittels Angiotensin-Infusion hypertensiv gemacht wurden [13]. Auch beim Menschen zeigt sich, dass Gliflozine die Albuminurie vermindern können, während Langzeitdaten zum Endpunkt diabetische Nierenschädigung jedoch noch nicht publiziert sind. Nach einer ersten Vorstellung der Ergebnisse beim American Society of Nephrology Meeting 2015 kann die EMPA-REG-OUTCOME Studie auch hier einen Vorteil der Empagliflozin-Behandlung gegenüber Plazebo demonstrieren. In dieser Studie waren immerhin 26 % der Patienten bei Studienbeginn bereits im CKD-Stadium 3, 29 % hatten eine Mikroalbuminurie und 11 % eine Makroalbuminurie. Renale Endpunkte traten im Empagliflozin-Arm signifikant seltener auf.     Fazit   Die SGLT-2-Inhibitoren sind eine effektive und sichere Medikamentengruppe zur Behandlung des Diabetes mellitus sowohl in Mono- als auch in Kombinationstherapie. Die bisher einmalige und unerwartete Überlegenheit von Empagliflozin in einer kardiovaskulären Hochrisikogruppe von Typ-2-Diabetikern bezüglich mehrerer harter Endpunkte (inklusive renaler Endpunkte) ist ein therapeutischer Durchbruch in der Behandlung des Diabetes mellitus und möglicherweise auch der diabetischen Nephropathie. Ob dies ein Substanzklasseneffekt ist (wie zu vermuten) oder spezifisch für Empagliflozin, werden in den nächsten Jahren die weiteren Langzeitstudien mit anderen Gliflozinen zeigen, die zum Teil auch primär renale Endpunkte haben.       Referenzen Huppertz E, Pieper L, Klotsche J et al. Diabetes Mellitus in German Primary Care: quality of glycaemic control and subpopulations not well controlled - results of the DETECT study. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2009; 117: 6–14. Krone W, Bohm M: Diabetes mellitus needs unrestricted evaluation of patient data to yield treatment progress. The DUTY Register. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2004; 47: 540–6. Berthold HK, Gouni-Berthold I, Bestehorn K et al. Kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Typ-2-Diabetikern in Deutschland – ein Versorgungsparadox. Dtsch Arztebl 2007; 104: A 861–7. Gerich JE. Role of the kidney in normal glucose homeostasis and in the hyperglycaemia of diabetes mellitus: therapeutic implications. 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Bild: Empagliflozin diabetes drug molecule. Atoms are represented as spheres with conventional color coding: hydrogen (white), carbon (grey), oxygen (red), chlorine (green). Copyright: mauritius images/ Science Photos Library / MOLEKUUL   Autor:           Prof. Dr. med. Christian Hugo christian.hugo@uniklinikum-dresden.de                 aus connexi  3-2016 September bis Oktober 2015   DGfN, ESOT und DTG 2015 Konferenzberichte     Titelbild Copyright:   Agentur FOCUS/SciencePhotoLibrary/STEVE GSCHMEISSNER Gestaltung:   Jens Vogelsang, Aachen    
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