Schmerzmedizin: Praxis und Theorie der Versorgung

„Jeder Patient hat Anspruch auf eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung. Dazu gehören eine dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Prävention und Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen“, betonte der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery in einem Grußwort zum 28. Deutschen interdisziplinären Schmerz- und Palliativkongress. So hätten sich zwar in den letzten Jahren die Strukturen zur Versorgung von Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen deutlich verbessert. Auch die Zahl der Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Schmerztherapie sei weiter, mittlerweile auf mehr als 5.300, angestiegen. Dennoch, so Montgomery, gäbe es deutliche Hinweise, dass weiterhin viele Menschen von den ambulanten und stationären schmerztherapeutischen Angeboten nicht erreicht werden.   Ein Grund für die Misere könnte darin bestehen, dass die adäquate Versorgung der Patienten unter anderem daran scheitert, dass Schmerzen nach wie vor von verschiedenen Fachärzten behandelt werden, also auch Ärzten, die sich nicht in erster Linie mit der Schmerzmedizin befassen, deren Hauptinteresse anderen Medizinfeldern gilt und deren Kapazitäten und Engagement für die komplexe Thematik und die große Zahl der Schmerzpatienten letztlich auch nicht ausreichen.   Die Einführung des Facharztes für Schmerzmedizin gehörte als zentraler Punkt immer zu den Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) für ein besseres Versorgungskonzept. Chronische Schmerzen sollen als eigenständige Erkrankung von Fachärzten diagnostiziert und therapiert werden, universitäre Lehrinhalte sollten entwickelt und in der Weiterbildungsordnung umgesetzt werden. Jedoch der Facharzt ließ und lässt sich trotz großer Anstrengungen der DGS nicht durchsetzen und das wird sich in absehbarer Zeit auch kaum ändern, zu stark seien weiterhin die Widerstände in zahlreichen Fachgesellschaften. Das müsse man einfach zur Kenntnis nehmen, konstatierte Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, vor der Eröffnung der diesjährigen Jahrestagung. Und so rückt die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin zwar nicht von ihrer Forderung nach einem Facharzt ab, aber sie ändert ihre Strategie und präsentierte anlässlich der Jahrestagung ein neues Konzept für eine bessere ambulante Versorgung von Schmerzpatienten. Die Idee dahinter: Es sollen Netzwerke gebildet werden, die alle Beteiligten in der Versorgung und die Patienten miteinander verbinden. Das Konzept wurde zuvor gemeinsam mit Vertretern von Krankenkassen, Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und gesundheitspolitischen Sprechern der Bundestagsparteien beim 2. Nationalen Versorgungsforum Schmerz diskutiert. Zu den Netzwerken sollen Hausärzte, Schmerzmediziner, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten und algesiologische Fachassistenten gehören. Ein Netzwerk-Manager koordiniert die Behandlung in den verschiedenen Fachdisziplinen. Im nächsten Schritt soll auf Basis der Diskussion beim 2. Nationalen Versorgungsforum in Berlin ein Positionspapier erarbeitet werden, in dem konkrete Umsetzungsvorschläge dieses Konzeptes beschrieben werden.   Damit die Patientenversorgung nicht an Fachgrenzen scheitert, setzt die DGS auf eine schmerztherapeutische Weiterbildung und Qualifikation von Ärzten aus allen Fachrichtungen. „Jeder Arzt sollte zumindest Basisfähigkeiten besitzen, um die richtige Behandlung einzuleiten oder rechtzeitig den Zeitpunkt zu erkennen, wann der Patient in die Hände eines Schmerzmediziners gehört“, ist DGS Vizepräsident Dr. Oliver Emrich überzeugt. „Dafür muss Kommunikation über Fachgebietsgrenzen hinaus stattfinden“, so Emrich weiter. Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Konzeptes sind laut Müller-Schwefe, Fortbildungen für alle Beteiligten in den Netzwerken und politische Unterstützung.     Onkologische Patienten sind schmerzmedizinisch unterversorgt   Menschen mit Tumorerkrankungen sind schmerzmedizinisch zu einem beträchtlichen Teil unter- und fehlversorgt, sowohl bezüglich tumorbedingter Dauerschmerzen als auch hinsichtlich tumorbedingter Durchbruchschmerzen. Das belegen aktuelle Ergebnisse einer groß angelegten Online-Befragung der DGS und der Deutschen Schmerzliga (DSL) e.V. (www.Praxisumfrage-Tumorschmerz.de) unter mehreren tausend Betroffenen. „Wir haben lange Zeit geglaubt, die schmerzmedizinische Versorgung tumorkranker Menschen sei deutlich besser als die von Menschen mit nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzen. Doch die Auswertung der Angabe der Betroffen decken jetzt ernstzunehmende schmerzmedizinische Versorgungslücken auf, die alle Beteiligten zum Umdenken motivieren sollten“, erläuterte Privatdozent Dr. med. Michael A. Überall, Präsident der DSL, Vizepräsident der DGS und Leiter der Patientenumfrage am Rande des Deutschen Schmerzkongresses in Mannheim.   Um Informationen über die schmerzmedizinische Versorgung und das Ausmaß schmerzbedingter Beeinträchtigungen auf Lebensqualität und Alltag der Betroffenen standardisiert erfassen zu können, startete die DGS gemeinsam mit der DSL Anfang des Jahres die „PraxisUmfrage Tumorschmerz“. Bundesweit wurden Betroffene dazu aufgerufen, unter Verwendung eines standardisierten Online-Fragebogens Auskunft über ihre Schmerzen zu geben. Dieser basiert auf einem von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin entwickelten Patientenfragebogen, der bereits seit geraumer Zeit in schmerzmedizinischen Einrichtungen genutzt wird, um darauf aufbauend individualisierte und bedarfsorientierte schmerzmedizinische Behandlungskonzepte für Menschen mit tumorbedingten Schmerzen erstellen zu können.     Zu geringer Einsatz von stark wirksamen Opioidanalgetika   Die Analyse der Daten zeigt, dass ein Großteil der Befragten (n=3.707) neben Dauerschmerzen zusätzlich unter akuten Schmerzattacken leidet. Laut Überall könnten bei einem Drittel dieser Patienten (n=1.064) allein durch eine Optimierung der Dauerschmerztherapie (z. B. durch eine Dosisanpassung bei zu geringer Tagesdosis, Änderung von Einzeldosis und Dosierungsintervall bei end-of-dose-failure oder Hinzunahme einer spezifischen Therapie mit Ko-Analgetika bei neuropathischen Schmerzen), die akuten Schmerzattacken vermieden werden. Bei den übrigen Patienten (n=2.643) wäre aus Sicht der Schmerzmediziner eine spezifische Notfall-/Rescuetherapie sinnvoll – diese erhält aber weniger als ein Drittel der dafür eigentlich infrage kommenden Betroffenen (862 vs. 2.643 [32,6 %]) mit tumorbedingten Durchbruchschmerzen. Davon erhielten wiederum nur etwas mehr als ein Drittel (326 vs. 862 [37,8 %]) eine Therapie mit einem starkwirksamen Opioidanalgetikum – dem nach Ansicht vieler Schmerzexperten einzig sinnvollen Therapiekonzept zur Behandlung dieser speziellen Schmerzform.   Die Ergebnisse sollten zum Anlass genommen werden, die schmerzmedizinische Ausbildung in den beteiligten Disziplinen stärker zu fokussieren und die Bedeutung einer suffizienten, individualisierten schmerzmedizinischen Versorgung von Tumorpatienten mit Dauer- und Durchbruchschmerzen in Bezug auf Alltagsfunktionalität und Lebensqualität noch stärker zu verdeutlichen – z. B. durch spezifische Fortbildungsveranstaltungen sowie die Implementierung versorgungsrelevanter Leitlinien, wie z. B. der DGS-Praxisleitlinien zu Tumorschmerzen und tumorbedingten Durchbruchschmerzen.        Der nächste Schmerz- und Palliativtag findet vom 8. bis 10. März 2018 in Frankfurt statt.      Bericht: Rüdiger Zart, Redaktion   Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.   Bild Copyright:               aus connexi  9-2017 SCHMERZ- und PALLIATIVMEDIZIN Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2017 in Frankfurt Kongressbericht         Copyright Titelbild:     
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