Proinflammatorisches Mikromilieu
Lipoproteine und Inflammation bei Niereninsuffizienz von Thimoteus Speer, Homburg/Saar Die chronische Nierenerkrankung (CKD) ist mit einer dramatisch gesteigerten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet. Verantwortlich hierfür ist neben einem Voranschreiten der Niereninsuffizienz vor allem die Entstehung kardiovaskulärer Komplikationen wie die vaskuläre Kalzifikation und CKD-assoziierte Atherosklerose. Eine entscheidende Rolle bei der Progression der Niereninsuffizienz und der CKD-assoziierten kardiovaskulären Komplikationen spielt die Entstehung eines proinflammatorischen Mikromilieus bei Patienten mit CKD. Schematisch dargestellt (Abbildung 1) führt die chronische Nierenerkrankung durch die Freisetzung verschiedener Mediatoren zu einer Aktivierung von verschiedenen Immunzellen wie Monozyten und Makrophagen. Diese wiederum sezernieren proinflammatorische Substanzen wie Zytokine, die dann sowohl die Progression der Niereninsuffizienz fördern, als auch zur Entstehung von Schäden des Gefäßsystems führen. Abbildung 1: Schema zur Rolle der Inflammation bei der Progression der chronischen Nierenerkrankung und der Entstehung CKD-assoziierter kardiovaskulärer Komplikationen. Eine besondere Rolle kommt hierbei dem angeborenen Immunsystem (innate immunity) zu [1]. Exogene, pathogenassoziierte Muster (PAMPs, pathogen associated molecular pattern) und endogene, schadensassoziierte Muster (DAMPs, damage associated molecular pattern) spielen bei der CKD-assoziierten Inflammation eine wichtige Rolle. Als DAMPs bei der CKD-assoziierten chronischen Inflammationsreaktion kommen zum einen vermehrt gebildete Substanzen (z. B. Urämietoxine) und zum anderen durch die CKD veränderte, auch bei Gesunden vorhandene Substanzen (z. B. modifizierte Lipoproteine) in Frage. Diese Substanzen werden durch Mustererkennungsrezeptoren (pattern recognition receptors), welche auf einer Vielzahl von Zellen exprimiert sind, erkannt und führen dann zu einer proinflammatorischen Zellaktivierung (Abbildung 2). In verschiedenen Arbeiten konnte in den letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt werden, dass insbesondere die Lipoproteine HDL (high-density lipoprotein) und LDL (low-density lipoprotein) eine wichtige Rolle bei der CKD-assoziierten chronischen Inflammationsreaktion spielen. High-Density-Lipoprotein High-Density-Lipoprotein ist ein Lipoprotein, welches eine komplexe Struktur aus Proteinen und Lipiden aufweist, und bei Gesunden ausgeprägte vasoprotektive Eigenschaften ausübt. Es stabilisiert die Endothelzellschicht der Blutgefäße und verhindert die Entstehung atherosklerotischer Läsionen [2]. Abbildung 2: Aktivierung des angeborenen Immunsystems zur schadensassoziierte molekulare Muster (DAMPs) durch Mustererkennungs-Rezeptoren auf der Oberfläche einer Vielzahl von Zellen führt zur proinflammatorischen Aktivierung mit Freisetzung unterschiedlichster entzündlicher Mediatoren. Allerdings scheinen diese protektiven Eigenschaften von HDL sehr heterogen zu sein. Während HDL von Gesunden die endotheliale Produktion des wichtigen Vasodilatators Stickstoffmonoxid (NO) fördert, verliert HDL von Patienten mit Niereninsuffizienz nicht nur diese Effekte, sondern führt in Zellkulturexperimenten sogar zu einer dramatischen Hemmung der endothelialen NO-Produktion und in vivo in einem Mausmodell sogar zu einem Anstieg des arteriellen Blutdrucks nach Applikation von HDL Nierenkranker [3]. In mechanistischen Untersuchungen zeigte sich, dass im HDL von Patienten mit Niereninsuffizienz symmetrisches Dimethylarginin (SDMA), ein kleines Molekül, welches bei Nierenkranken vermehrt gebildet wird, akkumuliert und zumindest teilweise für diese schädlichen Effekte von HDL verantwortlich ist [3, 4]. Dieses modifizierte HDL wird dann von Toll-like Rezeptor-2 (TLR2) auf der Oberfläche von Endothelzellen als schadensassoziiertes Muster erkannt und übt somit seine schädlichen Effekte auf das Gefäßsystem aus. Basierend auf diesen experimentellen Ergebnissen ist es nicht überraschend, dass in großen klinischen Studien höhere HDL-Cholesterin-Plasmaspiegel bei Gesunden mit einer verringerten Mortalität assoziiert sind, während dies bereits bei leichtgradig eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR <90 ml/min/1,73 m2) nicht mehr der Fall ist [5]. Für diese Dysfunktionalität von HDL Nierenkranker sind nicht die typischen Begleiterkrankungen chronisch Nierenkranker wie Diabetes mellitus oder koronare Herzkrankheit entscheidend, sondern die Niereninsuffizienz selbst. Bereits bei dialysepflichtigen Kindern ohne Diabetes mellitus oder KHK konnte gezeigt werden, dass deren HDL seine protektiven Effekte auf das Gefäßsystem verliert [6]. Neben der Akkumulation niedermolekularer Substanzen wie SDMA im HDL konnte gezeigt werden, dass sich auch die Proteinzusammensetzung (Proteom) des HDLs Nierenkranker von dem gesunder Personen deutlich unterscheidet [7, 8]. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass im HDL Nierenkranker unter anderem das Akut-Phase-Protein Serum Amyloid A (SAA) akkumuliert [8, 9]. Auch SAA verändert die Effekte von HDL auf das Gefäßsystem. Ähnlich wie SDMA führt SAA im HDL dazu, dass dieses seine vasoprotektiven Eigenschaften verliert und eine endotheliale Dysfunktion induziert [9]. All diese Studien zeigen, dass weniger die im Routinelabor bestimmten HDL-Cholesterin-Plasmaspiegel, sondern vielmehr die Funktionalität von HDL entscheidend ist. Allerdings setzt die Bestimmung der biologischen Effektivität die aufwändige Isolation von HDL aus dem Blut mittels Ultrazentrifugation voraus, sodass diese in der klinischen Routine keine Rolle spielt. Aus diesem Grund konnte ein mathematischer Algorithmus generiert werden, der es erstmals ermöglicht, das biologisch effektive HDL nur durch Messung von HDL-Cholesterin und SAA im Plasma abzuschätzen [9]. Der Zusammenhang zwischen beiden Parametern ist in Abbildung 3 dargestellt. Je höher die SAA Plasmakonzentration ist, desto weniger biologisch effektives HDL ist verfügbar. Somit führen verschiedene Mechanismen bei der Niereninsuffizienz zur Entstehung von proinflammatorischem HDL (Abbildung 4), welches durch eine Modulation des angeborenen Immunsystems eine wichtige Rolle bei der Entstehung CKD-assoziierter kardiovaskulärer Komplikationen spielt [10]. Insgesamt haben diese Untersuchungen dazu beigetragen, dass HDL nicht mehr nur als das „gute Cholesterin“ angesehen werden kann, sondern bei verschiedenen Erkrankungen wie der chronischen Nierenerkrankung auch schädigende Eigenschaften aufweisen kann. Low-Density-Lipoprotein Neben HDL stellt auch Low-Density-Lipoprotein einen wichtigen Modulator des angeborenen Immunsystems bei der chronischen Nierenerkrankung dar. Im Gegensatz zu HDL besteht das LDL nur aus einem einzigen Protein, dem Apolipoprotein B. Auch dieses Protein kann bei Nierenkranken in seiner Struktur verändert sein. So wurde gezeigt, dass sowohl die CKD-assoziierte proinflammatorische Umgebung als auch Harnstoff selbst zu einer Carbamylierung von Lysinresten im Apolipoprotein B führen können. Dieses carbamylierte LDL wird dann ähnlich wie modifiziertes HDL durch Mustererkennungsrezeptoren des angeborenen Immunsystems erkannt und führt zu einer endothelialen Dysfunktion und einer Aktivierung der Blutgerinnung [11, 12]. Abbildung 3: Abschätzung des biologisch effektiven HDL-Cholesterins (HDL-C) durch Messung der HDL-Cholesterin- (HDL-C) und SAA-Konzentration im Plasma (modifiziert nach [9]). Abbildung 4: Anti- und proinflammatorische Eigenschaften des HDL (modifiziert nach [10]). Abbildung 5: Schema zur Aktivierung des NALP3-Inflammasoms. Das NALP3 Inflammasom lagert sich aus den Komponenten Caspase-1, ASC und NALP3 zu einem multimeren Proteinkomplex zusammen, der die Zytokine Pro-IL-1β, Pro-IL-18 und Pro-IL-33 in deren aktive Form prozessiert. Daneben führt oxidativer Stress auch zu einer zunehmenden Oxidierung des LDL von Patienten mit Niereninsuffizienz, welches auch ein Target für Mustererkennungsrezeptoren darstellt. Hierbei spielt ein weiterer Bestandteil des angeborenen Immunsystems, das Inflammasom, eine wichtige Rolle [1]. Es existieren verschiedene Inflammasome, von denen das NALP3-Inflammasom bislang am besten untersucht ist. Es handelt sich hierbei um einen intrazellulären Proteinkomplex, welcher aus verschiedenen einzelnen Proteinkomponenten besteht (Abbildung 5). Dieser Proteinkomplex führt dann dazu, dass verschiedene proinflammatorische Zytokine aus ihrer Pro-Form in deren aktive sezernierte Form überführt werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Prozessierung von Interleukin-1beta (IL-1beta). IL-1beta kommt unter allen Zytokinen eine Schlüsselrolle zu. Es führt nicht nur selbst zur Entstehung einer Entzündungsreaktion, sondern dient als proinflammatorischer „Multiplikator“, indem es selbst die Freisetzung verschiedener anderer Zytokine fördert. Wichtige Aktivatoren des NALP3-Inflammasoms stellen oxidiertes LDL und Cholesterinkristalle, die in atherosklerotischen Gefäßläsionen akkumulieren, dar [13, 14]. Eine genetische Inaktivierung verschiedener Bestandteile des NALP3-Inflammasoms führte in Mausmodellen zu signifikant geringeren atherosklerotischen Läsionen im Vergleich zu Mäusen, in denen das Inflammasom normal aktiv ist [13, 14]. Diese Untersuchungen sind nicht nur von wissenschaftlicher Seite von Interesse, sondern haben auch direkte klinische Relevanz. In der im vergangenen Jahr veröffentlichten CANTOS-Studie wurde bei Patienten nach Myokardinfarkt mit persistierend erhöhtem C-reaktiven Protein (CRP) erstmals der Effekt eines monoklonalen gegen IL-1beta gerichteten Antikörpers (Canakinumab) auf das erneute Auftreten von Myokardinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulärer Mortalität untersucht [15]. In der Studie an insgesamt 10.061 Patienten konnte gezeigt werden, dass diese antiinflammatorische Behandlungsstrategie zu einer signifikant geringeren Rate kardiovaskulärer Ereignisse führt. Auch wenn eine Therapie mit Canakinumab aufgrund der hohen Therapiekosten sicherlich nur sehr speziellen Indikationen vorbehalten sein wird, so zeigt die CANTOS-Studie erstmals, dass eine gezielte antiinflammatorische Intervention zu einer Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führt und unterstreicht damit die Rolle der Inflammation bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen. Ob auch bei der CKD-assoziierten Inflammation eine Inhibition des Inflammasoms bzw. IL-1β zu einem verbesserten Outcome führt, ist bislang noch nicht untersucht. Allerdings konnte in einer kleinen Studie an Dialysepatienten gezeigt werden, dass eine Therapie mit einem rekombinanten humanen IL-1-Rezeptor Antagonisten (Anakinra) die Inflammation reduzierte [17]. Fazit Zusammenfassend spielen die Lipoproteine HDL und LDL eine wichtige Rolle bei der CKD-assoziierten chronischen Inflammationsreaktion und fördern dabei die Entstehung kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung. Weitere Studien in den kommenden Jahren werden zeigen, welchen Effekt gezielte antiinflammatorische Behandlungsstrategien auf die hohe Morbidität und Mortalität von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung aufweisen. Referenzen Zewinger S, Schumann T, Fliser D, Speer T. Innate immunity in CKD-associated vascular diseases. Nephrol Dial Transplant 2016; 31: 1813–21. 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Thimoteus Speer timo.speer@uks.eu aus connexi 2-2018 Biomarker der kardiorenalen Achse Kongressbericht vom Symposium Biomarker der kardiorenalen Achse 2018, Würzburg Titelbild Copyright: iStock® hywards, Shutterstock® piotr_pabijan Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen