Prävention

Ernährung in der primären und tertiären Krebsprävention: Gibt es Unterschiede?   Vortrag von Dr. med. Jann Arends, Freiburg     Nach Beziehungen zwischen der Ernährung und dem Auftreten von Krebserkrankungen wird seit vielen Jahren gesucht, und es wurden immer wieder Ernährungsformen und -faktoren genannt, die vor Krebs schützen oder die das Krebsrisiko erhöhen sollen [1]. Für die professionelle Beratung ist es von Bedeutung, ob und ggf. welche Beziehungen existieren und ob sich die Situation für Gesunde und für nach Krebs geheilte Personen (Survivors) unterscheidet.   Während Mark Twain (1835–1910) vor mehr als 100 Jahren unzufrieden über den Kenntnisstand der damaligen Medizin spitz bemerkte, das Einzige, was die Medizin mit Sicherheit sagen könne, sei, dass das Trinken moderater Mengen von Wasser ungefährlich sei, wissen wir heute zwar deutlich mehr, können aber dennoch nur zu einigen wenigen Themen des komplexen Geflechts zwischen Nahrung und Krebsentstehung Aussagen machen.   Wenn wir toxische Substanzen ausschließen, die bereits bei geringfügiger Einnahme schwere Schäden auslösen können, so wurden und werden Wirkungen wie die Beeinflussung des Krebsrisikos v. a. auf Assoziationen mit langfristig beibehaltenen Ernährungsmustern geprüft [2]. Dabei ist zu beachten, dass sich die Nahrungsaufnahme sowohl in der Menge relativ zum rechnerischen Nahrungsbedarf als auch in der Zusammensetzung, d. h. dem relativen Gehalt wichtiger Nahrungskomponenten, unterscheiden kann.   Übermäßiger Nahrungsverzehr   Die zuverlässigsten Daten liegen heute dafür vor, dass ein übermäßiger Nahrungsverzehr, der den Bedarf des Körpers langfristig übersteigt, und der zum Auffüllen der Fettspeicher und zu Übergewicht führt, mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen einhergeht. So ist erhebliches Übergewicht sowohl bei Frauen als auch bei Männern hochsignifikant mit einem deutlich erhöhten Risiko für Krebs ganz allgemein und mit besonders hohem Risiko für Gebärmuttertumoren bei Frauen und einem Leberkarzinom bei Männern assoziiert [3]. Vergleichbares gilt für Personen, die nach einer Krebsbehandlung als geheilt gelten: Starkes Übergewicht bedeutet ein erhöhtes Risiko für ein Wiederauftreten des Tumors [4, 5].   Übergewicht und Bewegungsmangel induzieren und verstärken eine Insulinresistenz und behindern so die weitere Akkumulation von Körper­reserven. Übersteigt die Energieaufnahme dennoch den Energieumsatz, so entwickelt sich das Krankheitsbild des metabolischen Syndroms mit Insulinresistenz, abdomineller Adipositas, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörung [6]. Das metabolische Syndrom ist ein wesentlicher Risikofaktor sowohl für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch für Krebserkrankungen ganz unterschiedlicher Organe [7, 8].     Das metabolische Syndrom ist ein wesentlicher Risikofaktor sowohl für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch für Krebserkrankungen     Ein metabolisches Syndrom findet sich bei Krebs-Survivors häufiger als bei Personen, die nie an Krebs erkrankt waren [6]; dafür scheinen vor allem die hochdosierten Zytostatikagaben verantwortlich zu sein, die in der Behandlungen von Leukämien und Lymphomen eingesetzt werden müssen [9]. Nach Behandlung solider Tumoren wurde bisher keine eindeutige Häufung des metabolischen Syndroms beobachtet. Sind jedoch die zugehörigen Stoffwechselveränderungen aktiviert, so geht dies mit einem überdurchschnittlichen Risiko für ein Tumorrezidiv einher [10].   Einzelne Nahrungsfaktoren   Untersuchungen zu krebsmodulierenden Wirkungen einzelner Nahrungsfaktoren beruhen in aller Regel auf epidemiologischen Fall-Kontroll- und Kohortenstudien, da prospektiv randomisierte langfristige Ernährungsinterventionen nicht zuverlässig umsetzbar sind. Daten aus methodisch aufwendig untersuchten großen Kollektiven wie der Diet-and-Health-Studie der amerikanischen Natio­nal Institutes of Health (>500.000 Teilnehmer) [11], der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC; >500.000 Teilnehmer) [12] sowie der Nurses Health Study (>88.000 Teilnehmerinnen) [13] ergaben für einen hohen gegenüber einem geringen Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Schwein, Kalb, Lamm, Schaf, Ziege) eine um 33 % erhöhte Krebsmortalität, ein um 18 % erhöhtes Risiko für kolorektale Karzinome, bzw. ein um 22 % erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Eine zusammenfassende Auswertung sechs großer Kohortenstudien mit insgesamt mehr als 1.500.000 Nachbeobachtungsjahren fand dagegen keinen Einfluss der verzehrten Menge tierischer Fette auf das Krebsrisiko [14]. Vergleichbar umfangreiche Untersuchungen bei Patienten nach einer Krebsbehandlung liegen nicht vor.   Die Einnahme freier Kohlenhydrate in Form von Zucker führt zu einem rascheren und höheren Anstieg der Blutglukose als der Verzehr komplexer Kohlenhydrate, v. a. in Gemüse. Die aus dem Verlauf der Blutglukose abgeleitete „glykämische Last“ der Nahrung ist bei Gesunden mit einem erhöhten Risiko für kolorektale und für Endometriumkarzinome assoziiert [15, 16]. Vergleichbar fanden sich für Patienten nach Kolonkarzinom abhängig von der glykämischen Last ihrer Kost eine erhöhte Tumorrezidivrate und Mortalität [17]. Sowohl Typ 1- als auch Typ-2-Diabetes sind assoziiert mit einem erhöhten Krebsrisiko und einer erhöhten Sterblichkeit [18].   Gemüse- und obstreiche Ernährung   Eine noch vor 20 Jahren breit postulierte umfassend vor Krebs schützende Wirkung von Gemüse und Obstprodukten [1] ließ sich in neueren und qualitativ höherwertigen epidemiologischen Studien nicht bestätigen. So sah eine aktuelle Metaanalyse von 16 Kohortenstudien mit insgesamt mehr als 800.000 Teilnehmern und Nachbeobachtungen über 4–26 Jahre keinen Einfluss des Gemüse- und Obstverzehrs auf die Krebsmortalität [19]. Allerdings reduzierte jede Portion Gemüse/Obst, die langfristig pro Tag eingenommen wurde, bis zu einer Obergrenze von fünf Tagesportionen die Gesamtmortalität um 5 %, am ehesten durch Verminderung der kardiovaskulären Mortalität. Daten für die Situation nach Krebsheilung sind spärlich. Eine Beobachtung von Frauen nach Brustkrebs ergab eine Verminderung des Tumorrezidivrisikos nur für diejenigen, die sowohl regelmäßig körperlich aktiv waren als auch eine gemüse- und obstreiche Ernährung einhielten [20]. Es blieb offen, ob sich diese Gruppe auch in weiteren Merkmalen von den anderen Frauen unterschied.       Empfehlungen   Aus den heute verfügbaren und hier in Auszügen kurz skizzierten Daten formulierten die Konsensusgruppen des World Cancer Research Fund [2] und der American Cancer Society [21, 22] identische Empfehlungen für Gesunde zur Minimierung des Tumorrisikos und für Survivors zur Minimierung des Tumorrezidivrisikos. Damit gelten für die primäre und für die tertiäre Prävention die gleichen Regeln, die Grundlage für die Beratung sein sollen (siehe Tabelle).        Referenzen World Cancer Research Fund, American Institute for Cancer Research: Food, nutrition and the prevention of cancer: a global perspective. Washington, DC, USA: World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research; 1997. World Cancer Research Fund, American Institute for Cancer Research: Food, nutrition, physical activity and the prevention of cancer: a global perspective. Washington, DC, USA: American Institute for Cancer Research; 2007. Calle EE, Rodriguez C, Walker-Thurmond K, Thun MJ. Overweight, obesity, and mortality from cancer in a prospectively studied cohort of U.S. adults. N Engl J Med 2003; 348: 1625–38. Bassett WW, Cooperberg MR, Sadetsky N et al. Impact of obesity on prostate cancer recurrence after radical prostatectomy: data from CaPSURE. Urology 2005; 66:1060–5. Goodwin PJ, Ennis M, Pritchard KI et al. Fasting insulin and outcome in early-stage breast cancer: results of a prospective cohort study. J Clin Oncol 2002; 20: 42–51. de Haas EC, Oosting SF, Lefrandt JD et al. The metabolic syndrome in cancer survivors. Lancet Oncol 2010; 11: 193–203. Bhandari R, Kelley GA, Hartley TA, Rockett IRH. Metabolic syndrome is associated with increased breast cancer risk: a systematic review with meta-analysis. Int J Breast Cancer 2014; 2014: 189384. Uzunlulu M, Telci Caklili O, Oguz A. Association between metabolic syndrome and cancer. 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