Prävention und Behandlung - Diabetes mellitus Typ 2

Die Bedeutung körperlicher Aktivität bei Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 von Christine Graf, Köln   Die Zahl der übergewichtigen, vor allem der adipösen Menschen hat weltweit epidemische Ausmaße erreicht. So stieg die Prävalenz von Adipositas in einer Analyse aus 200 Staaten von 3,2 % im Jahr 1975 auf 10,8 % 2014 bei Männern und von 6,4 % auf 14,9 % bei Frauen [1]. 2,3 % sind morbid adipös (definiert in diesem Fall als BMI ≥35 kg/m2). Auch in Deutschland zeichnet sich ein entsprechender Trend ab. Im Rahmen des Bundesgesundheitssurveys 1998 waren noch 18,9 % der Männer und 22,5 % der Frauen adipös, im DEGS1 waren es 23,3 % der Männer und 23,9 % der Frauen [2]. Die deutliche Zunahme der Adipositas in Deutschland zeigt sich besonders bei jungen Erwachsenen, d. h. zwischen 35 und 54 Jahren.   Damit verbunden sind zahlreiche Komorbiditäten, u. a. der Diabetes mellitus Typ 2. Weltweit sind 9 % betroffen, mit einem steigenden Trend an Diabetes Typ 2 bzw. Gestationsdiabetes. Wegen der gesundheitlichen Folgen werden die Kosten sich von 1,3 Billionen US-Dollar in 2015 auf 2,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2030 steigern [3]. Aus diesem Grund spielen präventive Maßnahmen, sowohl im Kontext Diabetes, wie auch der Adipositas eine immer wichtigere Rolle. Neben einer ausgewogenen Ernährung kommt in diesem Zusammenhang insbesondere der Steigerung der körperlichen Aktivität eine große Bedeutung zu [4, 5]. So führt das Erreichen der Bewegungsempfehlungen von 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche bei inaktiven Personen zu einer Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeit um 23 %, der Inzidenz von KHK um 17 % und des Typ-2-Diabetes um 26 % [6]. Allerdings wird dieses Ziel kaum erreicht; im Rahmen des GEDA (Gesundheit in Deutschland) als Teil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts wurden die Empfehlungen von Kraft und Ausdauer nur von 20,5 % der Frauen und 24,7 % der Männer erreicht [7]. Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher neben ausgewählten zugrundeliegenden Mechanismen und den aktuellen Empfehlungen auch praktische Hinweise gegeben werden.     Bewegung und Bewegungsempfehlungen   Allgemein wird körperliche Aktivität als jede Bewegungsform definiert, die mit einer Steigerung des Energieverbrauchs in Alltag, Freizeit und Beruf einhergeht [8]. Sport ist definiert als geplante, strukturierte, wiederholte Aktivität mit dem Ziel, die Fitness zu verbessern bzw. zu erhalten. Denn schon lange gilt die Fitness als Schutzfaktor und wichtiger Prädiktor für die kardio-metabolische Morbidität und Mortalität, auch im Kontext von Übergewicht/Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 [9]. Neben der körperlichen bzw. kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit zählt zur Fitness auch die Muskelkraft und damit Körperkomposition und Flexibilität [10]. Als „Dosis” wird der Energieaufwand, die Intensität als Rate des Energieverbrauchs im Rahmen ausgewählter Aktivitäten, meist ausgedrückt als VO2 max (oder relativ bezogen auf das individuelle Körpergewicht) bzw. metabolische Einheiten verstanden. Allerdings wird die Fitness als Surrogatparameter nur selten berücksichtigt; die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf den Umfängen, die moderat (150 min/Woche bzw. 30 Minuten an mindestens fünf Tagen in der Prävention bzw. mindestens 200 bis 300 min/Woche in der Therapie der Adipositas [4, 5]; Tabelle 1) erreicht werden sollen – sicherlich auch mit dem Ziel, „fitter“ zu werden. Insbesondere bei bewegungsarmen bzw. sportungewohnten Personen kommt es rasch zu einer Steigerung der Fitness, wenn sie beginnen. Anders ausgedrückt haben sie den höchsten gesundheitlichen Nutzen; aus motivationalen Gründen sollte dies in der Beratung stets betont werden.   Nicht immer ganz eindeutig ist die Trennung von Sporttreiben und Alltagsaktivitäten, deren tägliches Ziel zumeist mit 10.000 Schritten angegeben wird. Um 1.000 Schritte zu absolvieren, sind etwa zehn Minuten nötig; die empfohlenen 10.000 Schritte umfassen daher 100 Minuten am Tag! Diese Differenzierung ist für die Praxis von Bedeutung, um die „wirksame“ Dosierung von Bewegung auch tatsächlich zu erreichen. Dies muss nicht von einem auf den anderen Tag geschehen, die Steigerung sollte im wahrsten Sinn des Wortes schrittweise erfolgen.     Körperliche Inaktivität   Im wissenschaftlichen Fokus steht im Moment die körperliche Inaktivität bzw. vor allem die Sitz- bzw. Liegezeit [11]. So scheint ein „übermäßiges Sitzen“, v. a. vor Bildschirmen/TV, mit der Entwicklung von Übergewicht, Diabetes, kardiovaskulären Ereignissen, aber auch höheren Spiegeln an inflammatorischen Markern in Verbindung zu stehen. Die „aktive“ Reduktion der Sitzzeit führt u. a. zu einer Steigerung der Telomerlänge im Sinne der verlangsamten Zellalterung bei Älteren [12] etc. Selbst Stehen wurde als „gesünder“ bewertet als sitzen [13]. Übertragen in die Praxis geht es letztlich darum, unnötige Phasen der Inaktivität zu meiden oder zumindest durch aktives Bewegen zu unterbrechen (Tabelle 1).     Ausgewählte Effekte des gesundheitlichen Nutzens von körperlicher Aktivität   Der gesundheitliche Nutzen von körperlicher Aktivität ist heutzutage nahezu für alle Altersgruppen sowie in der Prävention und Rehabilitation/Therapie unumstritten. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind vielfältig; im Zentrum stehen u. a. die Adipozytokine und Myokine. Das viszerale Fettgewebe ist inzwischen als ein endokrines Organ bekannt, das eine Vielzahl bioaktiver Faktoren produziert. Diese spielen eine mehr oder minder wichtige Rolle in der Regulierung des Fett- und Kohlenhydratstoffwechsels (zusammengefasst in [14]) und tragen zu den bereits genannten Folgeerkrankungen bei. Zu diesen Adipozytokinen zählen u. a. Leptin, Adiponectin, Interleukin-6 (IL-6), Resistin, Fibroblasten-Wachstumsfaktor 21 (FGF21), Angiotensinogen, Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) alpha, Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 etc. Auf der anderen Seite gilt das Muskelgewebe ebenfalls als hormonaktives Organ. Das erste Zytokin, von dem ein belastungsinduzierter Anstieg beschrieben wurde, war IL-6. Dabei zeigte sich ein bis zu 100facher Anstieg bzw. ein Abfall nach der Belastung [15, 16], was wiederum die Lipolyse sowie die Fettoxidation steigert und den Effekten von TNF-alpha – Förderung der Insulinresistenz – bzw. der IL-1-Produktion gegensteuert. Antiinflammatorische Wirkung zeigt auch der in der Adipogenese zentral diskutierte Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptor Gamma (PPARy). Dessen Aktivierung wirkt sich zusätzlich positiv auf den Glukosestoffwechsel und die Insulinsensitivität, auf die Aufnahme freier Fettsäuren und die Differenzierung von Adipozyten aus [17]. Auf der Ebene der Mitochondrien scheinen beispielsweise Defekte in der Regulierung durch den PPAR Coactivator-1 (PGC1) eine Rolle in der Entstehung des Diabetes Typ 2 zu spielen. Man findet ihn down-reguliert in der insulinresistenten Skelettmuskulatur; umgekehrt steigt er infolge von Bewegung – u. a. durch eine Zunahme der Mitochondriendichte und der gesteigerten Expression von GLUT4-Transportern [18]. Diese Studien spiegeln letztlich nur einen minimalen Ausschnitt der Forschung und vor allem der Komplexität dieses Themenfeldes wider. Inwiefern es wirklich möglich ist, die Vielfalt sämtlicher akuten, also belastungsinduzierten und chronischen, d.h. trainingsbedingten Einflüsse unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage, der weiteren Einflussfaktoren wie Ernährung komplett zu erfassen, kann aktuell gar nicht beantwortet werden.     Transfer in die Praxis   Durch das Wissen um diese komplexen Wechselwirkungen wird immer deutlicher, dass es vermutlich weniger um die Frage der richtigen Sportart oder Bewegungsform geht, sondern vielmehr um ein „Hauptsache, es wird gemacht!“. Der Einstieg über eine Steigerung der Alltagsaktivität ist sicherlich immer mit den geringsten Hürden verbunden und kann über den Einsatz von Schrittzählern oder entsprechenden Messbändern überprüft und gefördert werden. Die in der Praxis häufig gestellte Frage nach Art und Intensität ist letztlich typenabhängig. Sicher ist, dass höhere Intensitäten einen anderen Reiz darstellen als „nur“ moderate Belastungen, Ausdauer ist anders als Kraft, die Förderung von Koordination und Flexibilität hat wiederum ganz andere Vorteile.   Somit ist es eine Frage von Vorerfahrungen, Neigungen und der Berücksichtigung des individuellen Gesundheitszustands. Jede Bewegungsart bietet Vorteile und fördert nicht nur die Gesundheit, sondern steigert insbesondere auch die Lebensqualität.           Referenzen NCD Risk Factor Collaboration (NCD-RisC). Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19·2 million participants. Lancet 2016; 387:1377-1396. Mensink GB, Schienkiewitz A, Haftenberger M, Lampert T, Ziese T, Scheidt-Nave C. [Overweight and obesity in Germany: results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1)]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2013;56:786-794. 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Fawcett; Adobe Stock® Olga Moonlight; Adobe Stock® nikolamirejovska; Senseonics. Gestaltung: Jens Vogelsang      
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