Phase-1-2a-Studie publiziert

Anlass zur Hoffnung auf kausale Chorea Huntington-Therapie     Am 6. Mai 2019 wurde im New England Journal of Medicine eine wegweisende Studie [1] zur Therapie der Chorea Huntington publiziert. Es konnte gezeigt werden, dass mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden das mutierte Gen quasi stillgelegt werden kann. Ob sich das Ergebnis auch in einen bedeutsamen klinischen Nutzen übersetzt, soll nun eine internationale multizentrische Phase-3-Studie klären, an der sich auch fünf Zentren in Deutschland beteiligen.   In Westeuropa sind ca. 7–10/100.000 Menschen von Chorea Huntington betroffen [2]. Diese erbliche neurodegenerative Erkrankung ist chronisch fortschreitend, es kommt schließlich zur völligen Pflegebedürftigkeit, Demenz und nach durchschnittlich 15 Jahren zum Tod der Patienten.   Das Huntington-Gen wird über den monogenen, autosomal-dominanten Erbgang weitergegeben. Das Erkrankungsrisiko für die Kinder der Patienten beträgt 50 %. Wenn das mutierte Gen vererbt wurde, kommt die Krankheit auch immer zum Ausbruch. Die ursächliche Genmutation liegt auf dem Chromosom 4; dort findet sich eine pathologisch häufige Wiederholung einer Dreibasen-Abfolge, wodurch die DNA im Zellkern nicht richtig abgelesen werden kann: Im Huntingtin-Protein kommt es zur fehlerhaften Molekülstruktur.   Für die Huntington-Erkrankung gibt es bislang keine Therapie, die den Krankheitsverlauf aufhalten kann. Das zunehmende Verständnis der komplexen molekulargenetischen Pathomechanismen hat jedoch zur Entwicklung verschiedener neuer Therapieansätze geführt, von denen derzeit viele erprobt werden. „Die Therapien setzen an bestimmten Stellen des DNA-Ableseprozesses bzw. der Huntingtin-Expression, also der Bildung des fehlerhaften Proteins, an“, erläutert Frau Prof. Christine Klein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).     Neuer Therapieansatz   Beim DNA-Ableseprozess wird im Zellkern immer zunächst messenger-RNA (mRNA) gebildet, die gewissermaßen als Matrize für die Proteinsynthese dient. Bei dem Therapieansatz mit Antisense Oligonukleotiden (ASOs) wird diese Matritze und somit die Bildung von Htt-Protein durch synthetisch hergestellte komplementäre mRNA-Bausteine (Antisense-Oligonukleotide) spezifisch gehemmt. Das mutante Htt-Gen wird praktisch stillgelegt („gene silencing“). Da ASOs die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, müssen sie intrathekal injiziert werden.   Im New England Journal of Medicine wurde jetzt eine aktuelle Phase-1-2a-Studie [1] mit dem Oligonukleotid HTTRx publiziert (auch RG6042). Beteiligt waren weltweit Zentren in Kanada, U.K. und Deutschland (Berlin, Bochum, Ulm). 46 erwachsene Patienten in einem frühen Erkrankungsstadium wurden 3:1 doppelblind randomisiert. 34 Patienten erhielten viermal, jeweils im Abstand von vier Wochen verschiedene Dosierungen HTTRx intra­thekal (10, 30, 60, 90 oder 120 mg), zwölf erhielten Plazebo. Primärer Endpunkt war die Sicherheit der Substanz, sekundär wurde im Liquor die Pharmakokinetik von HTTRx sowie die Konzentrationen von Huntingtin ermittelt. Die Substanz wurde insgesamt gut vertragen, alle Patienten durchliefen die Studie vollständig ohne Studienabbrüche. Ernste Nebenwirkungen traten nicht auf.   Im Ergebnis führte die Behandlung mit HTTRx dosisabhängig zur Absenkung der Htt-Konzen­trationen im Liquor: Während in der Plazebogruppe die Konzentration um 10 % zunahm, sank sie in den HTTRx-Gruppen mit steigender HTTRx-Dosierung um -20 %, -25 %, -28 %, -42 % und -38 % ab. Funktionelle neurologische, kognitive und psychiatrische Tests zeigten keine Unterschiede vom Studienbeginn bis zum Ende; auch nicht zwischen Plazebo- und den Verumgruppen. Eine (nichtpräspezifizierte) Posthoc-Analyse verglich den Verlauf des cUHDRS-Scores („composite Unified Huntington Disease Rating Scale”) als Maß der Krankheitsprogression mit den Htt-Liquorkonzentrationen: In zwei von vier Teilergebnissen gab es dabei positive Korrelationen zwischen sinkenden Htt-Werten und einer Verbesserung des cUHDRS-Scores. Die Autoren weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die Studie statistisch nicht für diese Analyse konzipiert war und daher keine validen Aussagen zu einer klinischen Wirksamkeit hinsichtlich einer Progressionshemmung gemacht werden können.     Phase-3-Studie „GENERATION-HD1“ hat begonnen   „Es ist durchaus ein vielversprechendes Zeichen, dass die Expression des fehlerhaften Huntingtin-Proteins im Liquor reduziert werden konnte. Noch wissen wir aber nicht abschließend, inwieweit die Htt-Konzentration krankheitsauslösend ist oder nur einen Surrogatparameter darstellt“, erklärt Prof. Dr. med. Alexander Münchau, Leiter des Lübecker Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZSE). „Es muss betont werden, dass bislang der sichere Beleg dafür fehlt, dass es durch die Senkung von Huntingtin­ im Liquor auch zu einer Verbesserung des klinischen Bildes kommt. Die Patientenzahl und die Studiendauer waren in dieser Phase-2-Studie dafür einfach noch nicht ausreichend.“   Ende letzten Jahres begann weltweit (in 15 Ländern, 46 Standorte, davon fünf deutsche Zentren) die Phase-3-Studie „GENERATION-HD1“ [3], die bis 2022 laufen soll. Insgesamt sollen 660 symptomatische Patienten eingeschlossen werden und verschiedene Dosen RG6042 (RO7234292) gegen Plazebo getestet werden. „Das Studienprotokoll sieht neben umfangreichen Laboruntersuchungen auch eine Reihe klinischer Tests zum motorischen, kognitiven und psychosozialen Krankheitsverlauf vor“, erklärt Prof. Münchau, „so dass wir hoffentlich in absehbarer Zeit wissen, ob die Therapie auch die dringend erhofften klinischen Wirkungen zeigt.“        Referenzen Tabrizi SJ, Leavitt BR, Landwehrmeyer BD et al. Targeting Huntingtin Expression in Patients with Huntington`s Disease. NEJM 2019 May 6 [epub]. DOI: 10.1056/NEJMoa1900907 https://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/55-pressemitteilung-2017/3519-huntington-schekrankheit-neurologische-leitlinie-bewertet-neue-therapieansaetze A Study to Evaluate the Efficacy and Safety of Intrathecally Administered RO7234292 (RG6042) in Patients With Manifest Huntington‘s Disease. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03761849   Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 7.5.2019     Abbildung 1: Der FLAIR MRT-Scan der Frontalebene im Gehirn eines 21-jährigen Patienten mit Chorea Huntington zeigt die Atrophie in der Großhirnrinde und im Nucleus caudatus.   Bild Copyright: Science Photo Library / Zephyr     Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge in unserer Online-Ausgabe.               aus connexi  3-2019 NEUROLOGIE, NEUROINTENSIVMEDIZIN Neurowoche 2018, ANIM 2019 Kongressberichte       Titelbild Copyright: Alexey Kashpersky, Ukraine; Fotolia® Johan Swanepoel. Gestaltung: Jens Vogelsang                    
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