München im März - das Mekka deutscher HIV-, AIDS- und Hepatitis-Spezialisten
pascal lehwark
München im März - das Mekka deutscher HIV-, AIDS- und Hepatitis-Spezialisten Interview mit dem Tagungsleiter Dr. Hans Jäger, München Traditionell nach der im Februar stattfindenden CROI und vor dem EASL im April kamen in diesem Jahr am 13. und 14. März mehr als 850 Teilnehmer zur nunmehr 6. Münchner AIDS-Werkstatt ins Westin Grand Hotel in München. Als „Familientreffen“ der deutschen HIV-, AIDS- und Hepatitisszene zu Beginn des Jahres erfreut sich der Werkstattkongress, mit seinen vielfältigen Formaten von größeren Plattformen über Workshops bis zu Corner Stone Labs - Expert Lectures in kleinen Gruppen, nach wie vor großer Beliebtheit. Über die Welt nach der CROI und vor dem EASL 2015 sprach connexi mit dem Tagungsleiter Dr. Hans Jäger, München. Was gab es Neues auf der CROI und was ist vom EASL zu erwarten? Die jährlich mit mehreren tausenden Teilnehmern stattfindende CROI ist das wichtigste Meeting für im HIV-/AIDS-Bereich tätige Kliniker und Forscher. Anfang 2015 standen folgende neuen Erkenntnisse im Vordergrund: Bei schwulen Männern (MSM) lässt sich die Übertragung der HIV-Infektion auf den nicht-infizierten Partner durch prophylaktische Einnahme eines aus der Therapie gut bekannten Medikamentes (Truvada®) sehr effektiv verhindern. Eine Reduktion der Infektionen um 86 % konnte sowohl bei den HIV-negativen Männern festgestellt werden, die täglich eine Tablette Truvada® einnahmen, als auch bei den Männern, die nur bei Bedarf, also vor und nach dem sexuellen Kontakt, diese Tablette (PrEP) schluckten. Die US Centers for Disease Control haben schon vor Jahren eine Task Force gebildet, die bereits im letzten Jahr – die Empfehlung war insbesondere für Hochrisikogruppen von MSM wichtig – empfahl, PrEP einzusetzen, was auch in den USA stattfindet. In Deutschland ist das Medikament für diese Indikation noch nicht zugelassen, auf europäischer Ebene wird daran gearbeitet. Natürlich ist nur dann von einem effektiven Einsatz auszugehen, wenn neben der Zulassung auch die Erstattung durch die Kostenträger gesichert ist. Die aktive Nachfrage nach der PrEP ist bisher in Deutschland relativ gering, wird aber nach Kenntnis der Forschungsergebnisse von der CROI größer werden. Für die Heilungsforschung (HIV Cure Research) waren Ergebnisse zu neutralisierenden Antikörpern, zunächst im Maus- und Affenmodell getestet, wichtig. Sie zeigten bei einer kleinen Gruppe von Freiwilligen überraschend gute Erfolge. Intensiviert hat sich die Forschung zu Fragen der Langzeit-infizierten (latent) Zellen, die bisher den Haupt-Stolperstein bei Cure Research darstellen. Auch hier gab es bei der CROI neue Ansätze. Konnte mit mehr als doppelt so vielen Teilnehmern als erwartet wurden, der Werkstattcharakter der Veranstaltung noch erhalten werden? Die Münchner AIDS- und Hepatitiswerkstatt ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass so gut wie keine Plenarvorträge stattfinden, auf Pressekonferenzen und ornamentale Begrüßungen verzichtet wird und die gesamte zur Verfügung stehende Zeit von Freitagvormittag bis Samstagabend in Parallel-Workshops eine große Fülle von Themen, die von der Grundlagenimmunologie bis zur Situation im Strafvollzug gehen, bearbeitet werden. Ursprünglich wurde die Tagung für 300 Teilnehmer konzipiert. Diesmal waren es mehr als 850. Dr. Christian Hoffmann und ich bekommen auf der einen Seite Rückmeldungen zu der Tatsache, wie wichtig und positiv dieses „Familientreffen“ der HIV-, AIDS- und Hepatitisszene zu Beginn des Jahres ist. Auf der anderen Seite hören wir den Wunsch nach kleineren Formaten. Diese finden allerdings über das Jahr verteilt und von anderen Veranstaltern durchgeführt regional an vielen Stellen in Deutschland mit gutem Zuspruch statt. Ist die Wahrnehmung richtig und wenn ja, warum gibt es aktuell diesen „Hepatitis Hype“ bei einem Kongress für HIV-Behandler? Seit einigen Jahren haben die HIV-/AIDS-Behandler ihr Arbeitsspektrum auf Hepatitis B und vor allem auf Hepatitis C erweitert. In der Hepatitis-C-Therapie ist es von der früher stark histologisch bestimmten hepatologischen Sichtweise zu einer verstärkt virologischen Sichtweise, die Parallelen und Unterschiede zur HIV-Medizin aufweist, gekommen. Neben den Hepatologen und Gastroenterologen in Klinik und Praxis stellen deshalb die HIV-Experten heute eine wichtige Behandlergruppe dar, die zunehmend neben den HIV-Hepatitis-koinfizierten Patienten auch HCV-monoinfizierte Patienten zu behandeln hat. Das Jahr 2014 hat erdrutschartige Veränderungen in der Hepatitis-C-Behandlung – mehr als 95 % der Patienten können heute geheilt werden – durch die Einführung neuer, nicht mehr Interferonabhängiger Medikamente gebracht. Das Jahr 2015 ist dementsprechend gekennzeichnet durch die durchaus komplexe Einführung der oft sehr teuren Medikamente in die klinische Behandlungsrealität. Die zulassungs- und arzneimittelrechtlichen Fragestellungen stellen derzeit vor dem Hintergrund der hohen Verantwortung des verschreibenden Arztes/der verschreibenden Ärztin große Herausforderungen dar. Konnten (vorläufige) Antworten auf einige der aktuell anstehenden Fragen in beiden Indikationen gefunden werden? Zum Beispiel für: HIV Nuke-free in 2. Generation - worauf warten wir eigentlich? Nukleosid-/nukleotidartige Substanzen waren die erste Medikamentengruppe in der erfolgreichen HIV-/AIDS-Therapie. Sie stellen auch jetzt noch das Rückgrat der weitaus meisten Dreifach-Therapien dar. Diese Medikamente werden in der Regel heute gut vertragen, haben z. B. nicht mehr die Körperform-verändernden Nebenwirkungen wie frühere Substanzen. Im langjährigen Einsatz zeigen sich jedoch auch reale Probleme. Große Kohortenstudien deuten auf eine 12 %ige Risikoerhöhung für die Nephrotoxizität bei der Substanz Tenofovir – hier wird bald ein Nachfolgepräparat zur Verfügung stehen – und eine 27 %ige Erhöhung des relativen Nierenrisikos bei Atazanavir sowie eine 16 %ige Erhöhung des relativen Risikos bei Lopinavir hin. Die Gegenwart und die mittlere Zukunft wird auf nukleosid-/nukleotidartige Medikamente nicht verzichten können. Compliance-Probleme bei HIV-Patienten: Was können wir tun? Die heute in der HIV-Behandlung zur Verfügung stehenden Medikamente sind deutlich robuster als frühere Präparate. Wenn ein Patient einmal vergisst, seine Medikamente einzunehmen, erwachsen daraus keine Probleme. Die Medikamente müssen auch nicht zu einer bestimmten Uhrzeit eingenommen werden. Studien bei Jugendlichen – diese Ergebnisse wurden bei der CROI 2015 vorgestellt – zeigen auch, dass mit bestimmten Regimen „Wochenendpausen“ ohne Beeinflussung der Effektivität und ohne die Entstehung von Resistenzen möglich sind. Wir sehen dennoch in allen Arbeitsgruppen Patienten, die es „nicht schaffen“, ihre Medikamente einzunehmen und teilweise deshalb auch an HIV-/AIDS-Komplikationen sterben, was heute für die Patienten, die ihre Medikamente regelmäßig einnehmen, kaum noch der Fall ist. Entsprechende Forschungsprojekte, wie wir diese Patienten besser verstehen und ihnen besser helfen können, laufen derzeit. Die üblichen Faktoren wie akute Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, schwere Depression reichen nach bisherigen Erkenntnissen als Erklärung der Non-Compliance dieser speziellen Gruppe nicht aus. Mit der wachsenden Zahl der Flüchtlinge, die zurzeit nach Deutschland kommen, wächst die Zahl HIVpositiver Menschen. Welche alten Herausforderungen stellen sich damit neu? Die HIV-Behandler in Deutschland, im niedergelassenen Bereich in der DAGNÄ organisiert und im wissenschaftlichen Bereich in der DAIG, haben derzeit keine relevanten Probleme, Flüchtlinge, die in vermehrter Zahl nach Deutschland kommen, zu versorgen, wenn sie eine bekannte oder bisher nicht bekannte HIV-Infektion haben. Die besonderen Ängste dieser Gruppe, die ja in ihrem bisherigen Leben meist massiven Traumata ausgesetzt waren, stellen für die Behandler eine größere Herausforderung als die HIV-Behandlung selbst dar. Versicherungsprobleme sind meist vorübergehender Natur und können in vielen Fällen durch verstärktes Engagement überbrückt werden. Hepatitis C Werden die Risikogruppen erreicht? Wir rechnen im HIV-Bereich mit etwa 14.000 Patienten in Deutschland, die nichts von ihrer HIV-Infektion wissen oder nicht in ärztlicher Behandlung sind. Bei Hepatitis C ist diese Dunkelziffer von bisher nicht diagnostizierten Patienten weitaus höher. Hier bedarf es der proaktiven Arbeit, insbesondere der Information von Hausärzten. HIV-Patienten werden auch in Deutschland oft zu spät diagnostiziert, weil eine Sommergrippe oder ein Pfeiffersches Drüsenfieber – diese Erkrankungen haben dieselben Symptome wie die akute HIV-Infektion – statt einer HIV-Infektion vermutet werden. Erhöhte Leberlaborwerte sollten bei jedem Patienten in jeder Praxis dazu führen, dass auch eine Hepatitis-Serologie durchgeführt wird. Kann man bei den vielen neuen antiviralen Therapien schon von ausreichender Evidenz sprechen? Sind sie für den Patienten sicher? Die neuen HCV-Medikamente sind nach dem bisherigen Wissen, das sich allerdings nur auf einen Zeitraum von wenigen Jahren bezieht, wenn die Studienzeiträume mitgerechnet werden, sicherer und weitaus weniger toxisch als die bisherigen Therapien (Interferon und Ribavirin). Wir sehen beim Einsatz der neuen Direct Acting Agents uns bisher unbekannte Erfolge, die nicht nur darin bestehen, das Virus zu eliminieren und in einigen Fällen auch die Leberfibrose zu verbessern. Patienten fühlen sich wieder kräftiger und leistungsfähiger. Häufig haben sie über Jahre oder Jahrzehnte Müdigkeit und Leistungsknicks empfunden, die Hepatitis C war bekannt, wurde aber nicht behandelt. Den meisten kann heute mit einer zwei- bis dreimonatigen Therapie deutlich besser geholfen werden als früher. Wie kann der Verunsicherung bzgl. der neuen Therapien und beim Verordnungsverhalten (Regressgefahr!), die bei den Ärzten in den Diskussionen zu spüren war, begegnet werden? Meines Erachtens wird die Regressgefahr (Einzelfallprüfungen) derzeit vor dem Hintergrund der sehr hohen Kosten der Therapie von den Behandlern und Verschreibern überschätzt. Allerdings sind auch die meisten MDK erst dabei, sich an die neuen Medikamente zu gewöhnen und beginnen Nachfragen zu stellen, was ja an sich berechtigt ist und noch nicht als Regress gewertet werden darf. Ob die Verhinderung von Spätkomplikationen (Leberzirrhose, Leberzellkarzinom, Lebertransplantation), die erfolgreiche Elimination des Virus, d. h. Heilung von HCV und die Verbesserung der Lebensqualität vieler Patienten die derzeit hohen Kosten rechtfertigen, wird intensiv diskutiert. Die Medikamentenpreise, das ist anzunehmen, werden sich in den nächsten Monaten und Jahren weiter nach unten einpendeln. Wann werden die Münchner AIDS-Tage 2016 stattfinden, und ist die nächste Werkstatt schon in Planung? Die 16. Münchner AIDS- und Hepatitistage finden vom 11. bis 13. März 2016 statt. Sowohl für diese Tagung, die ja größer ist – es werden ca. 1.500 Teilnehmer erwartet – als auch für die Münchner AIDS- und Hepatitiswerkstatt 2017 sind die Planungen bereits angelaufen. Vielen Dank Herr Dr. Jäger für dieses Gespräch. Im Interview: Dr. med. Hans Jäger info@jajaprax.de Portraitfoto: Axel Griesch Die Fragen stellte Elke Klug. Titelbild: AIDS-Virus: Alexey Kashpersky, Ukraine Hepatitis C-Virus: Russell Kightly, Australien aus connexi 2-2015 13. bis 15. März 2015 München 6. Münchner AIDS- und Hepatitis-Werkstatt Konferenzbericht