MECHANISCHE Herzklappen und INTRAKRANIELLE Blutung

Empfehlungen zur Therapie von Karl Georg Häusler, Würzburg, und Joji B. Kuramatsu, Erlangen     Bei Patienten mit mechanischer Herzklappe kommt der medikamentösen Prävention von Klappenthrombosen und ischämischen Schlaganfällen eine große Bedeutung zu. Gemäß der Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) ist bei mechanischer Herzklappe eine orale Antikoagulation indiziert. Die verfügbaren Leitlinienempfehlungen zur Akuttherapie bei mechanischer Herzklappe und intrakranieller Blutung sind vergleichsweise vage. Im klinischen Alltag sind die Entscheidungen zur Antagonisierung einer Antikoagulation, zur Dauer einer Antikoagulationsunterbrechung und zum Einsatz einer Heparinisierung sehr heterogen. Die Autoren sehen eine Indikation zur Antagonisierung einer therapeutisch wirksamen Antikoagulation bei akuter intrakranieller Blutung als prinzipiell gegeben, wobei die Basis aller Therapieentscheidungen ein patientenzentriertes Vorgehen und eine interdisziplinäre Abstimmung sein sollte.   Herzklappenersatz – Historie und Gegenwart   Als Herzklappenersatz ist ein operativ oder minimal­invasiv eingebrachter mechanischer oder biologischer Ersatz für eine Herzklappe zu verstehen. Die erste mechanische Herzklappe wurde im Jahr 1960 von Dr. Albert Starr in Portland (Oregon, USA) implantiert. Gemäß dem Herzbericht des Jahres 2018 werden allein in Deutschland etwa 34.000 Herzklappen pro Jahr ersetzt, wobei der Anteil minimalinvasiv implantierter Herzklappen in den letzten Jahren stetig zugenommen hat.     Leitlinienempfehlungen zur Schlaganfallprävention bei mechanischer Herzklappe   Die medikamentöse Prävention von Klappenthrombosen und ischämischen Schlaganfällen hat bei mechanischen Herzklappen einen sehr hohen Stellenwert. Hierbei ist zu beachten, dass das Schlaganfallrisiko von der Bauart der mechanischen Herzklappe, ihrer Position und der Zahl der implantierten mechanischen Herzklappen abhängig ist. Gemäß den zuletzt 2017 aktualisierten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) ist bei mechanischer Herzklappe eine orale Antikoagulation mittels eines Vitamin-K-Antagonisten (VKA) indiziert, wobei die Ziel-INR zwischen 2,5 und 4,0 liegen sollte, in Abhängigkeit von der antizipierten Thrombogenität der Herzklappe, dem Vorhandensein von Risikofaktoren (kardiale Ejektionsfraktion <35 %, Vorhofflimmern, vorherige Thromboembolie, Mitralstenose) oder der Klappenposition, da Klappen in Trikuspidal- oder Mitralposition mit einem höheren Thromboembolierisiko assoziiert sind [1]. Aufgrund der Ergebnisse der RE­‑ALIGN-Studie [2] sind nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAKs) bei mechanischer Herzklappe nicht indiziert [3]. Das Blutungsrisiko unter oraler Antikoagulation mittels eines Vitamin-K-Antagonisten wird auf 0,3−1,3 % pro Jahr geschätzt [4].     Akuttherapie − Datenlage und Leitlinienempfehlungen   Nach Kenntnis der Autoren existiert derzeit keine randomisierte Studie zur Therapie bei mechanischer Herzklappe und intrakranieller Blutung. Neben einzelnen prospektiven Studien wurden retrospektive Beobachtungsstudien veröffentlicht, die teils deutliche methodische Mängel aufweisen, da beispielsweise nicht bei allen Studien Informationen zum Klappentyp bzw. zur Lokalisation und Ausdehnung der intrakraniellen Blutung vorliegen und die Nachverfolgungszeiträume sehr variabel sind [5, 6]. Konsekutiv sind die bis dato verfügbaren Leitlinienempfehlungen zur Akuttherapie bei mechanischer Herzklappe und intrakranieller Blutung vergleichsweise vage. In der ESC/EACTS-Leitlinie wird darauf verwiesen, dass eine umgehende Antagonisierung mittels intravenöser Gabe von Prothrombin-Komplex-Präparaten und Vitamin K nur bei schwerer Blutung erforderlich ist, zu denen die intrakraniellen Blutungen gezählt werden. Zudem wird darauf verwiesen, dass keine Daten vorliegen, die belegen, dass das mit einer Antagonisierung assoziierte Risiko einer Thromboembolie die möglichen Folgen einer schweren Blutung überwiegt. Der Wiederbeginn einer oralen Antikoagulation sollte gemäß der ESC/EACTS-Leitlinie in Abhängigkeit von der Lokalisation, der Dynamik und Ursache der Blutung sowie von den bereits erfolgten therapeutischen Maßnahmen abhängig gemacht werden [1]. Allerdings wird im Expertenkonsensus der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfohlen, eine systemische Antikoagulation mit Heparinen schon nach drei Tagen zu beginnen [7]. In der von der American Heart Association (AHA) und dem American College of Cardiology (ACC) herausgegebenen Leitlinie wird im Kontext einer Notfalloperation oder notfallbedingten invasiven Prozedur auf die begrenzte Datenlage zu einer Gabe von gefrorenem Frischplasma oder Prothrombin-Komplex-Präparaten bei Patienten mit mechanischer Herzklappe unter Einnahme eines Vitamin-K-Antagonisten verwiesen (Evidenzklasse IIa, Level C). Zudem wird auf die Möglichkeit eines „bridgings“ bei subtherapeutischer INR hingewiesen, welches in Abwägung des Thromboembolie- und Blutungsrisikos bei Patienten mit mechanischer Herzklappe erwogen werden sollte, die sich einer invasiven oder operativen Prozedur unterziehen und entweder eine mechanische Aortenklappe älterer Bauart haben, eine mechanische Aortenklappe und weitere Risikofaktoren für eine Thromboembolie aufweisen oder eine mechanische Mitralklappe haben [8]. Spezifische Empfehlungen zur Therapie der (spontanen) intra­kraniellen Blutung bei mechanischer Herzklappe finden sich hingegen weder in der Leitlinie der American Heart Association (AHA) und American Stroke Association (ASA) noch in den Empfehlungen der European Stroke Organisation (ESO) [9, 10].     RETRACE I & II   Im Folgenden sollen die im Jahr 2018 im European Heart Journal von den Autoren publizierten Ergebnisse der retrospektiven RETRACE-I- & -II-Studien näher erläutert werden [11]. Unter Beteiligung von 22 deutschen Studienzentren wurden retrospektiv Daten von 2.504 Patienten mit intrazerebraler Blutung erhoben, die zwischen 2006 und 2015 behandelt wurden. Darunter befanden sich 166 Patienten mit mechanischer Herzklappe, die bei Auftreten der Hirnblutung im Durchschnitt 70 Jahre alt waren, zu 65 % eine mechanische Herzklappe in Aortenposition hatten und zu 28 % ein Vorhofflimmern aufwiesen. Eine suffiziente Antagonisierung (definiert als INR<1,3 innerhalb von vier Stunden) wurde lediglich bei 25 % der Patienten erzielt, die im Mittel einen niedrigeren Wert auf der Glasgow Coma Scale bei Krankenhausaufnahme und häufiger einen Ventrikeleinbruch aufwiesen als Patienten, bei denen keine suffiziente Antagonisierung erfolgte. Durch eine suffiziente Antagonisierung wurde die Nachblutungsrate deutlich gesenkt (20 % versus 49 %), die Thromboembolierate jedoch nicht signifikant erhöht (5 % vs. 5 %). Für eine Antagonisierung wurde bei 78 % dieser Patienten Vitamin K intra­venös appliziert und bei über 90 % wurden Prothrombinkomplex-Präparate verwendet. Eine therapeutische Antikoagulation wurde in knapp der Hälfte der Patienten im weiteren Verlauf wieder begonnen und erfolgte häufiger bei Patienten, die klinisch weniger schwer durch die Hirnblutung betroffen waren. Die Antikoagulation mit Heparin oder VKA innerhalb von 14 Tagen nach Auftreten der Blutung war mit einem signifikant erhöhten Blutungsrisiko assoziiert. Unter Berücksichtigung von erneuten Blutungen und Thromboembolien war eine Antikoagulation innerhalb von sieben Tagen als nachteilig zu betrachten.     Empfehlungen zur Akuttherapie   Aus Sicht der Autoren sollte die Basis aller Therapieentscheidungen ein patientenzentriertes Vorgehen sein, das neben der Lokalisation, Ausdehnung und Dynamik der intrakraniellen Blutung auch die Bauart und Position der mechanischen Herzklappe(n) berücksichtigt. Zudem erscheint eine interdisziplinäre Abstimmung zwischen den behandelnden Ärzten der Fachbereiche Neurologie, Kardiologie und ggf. Neurochirurgie und Hämostaseologie unabdingbar, zumal die Sichtweisen einzelner Fachdisziplinen durchaus differieren können, wie eine selbst initiierte, nicht repräsentative Umfrage unter Oberärzten aus neurologischen bzw. kardiologischen Kliniken belegt. Anhand von Fallvignetten mit wechselnden Herzklappen, Klappenpositionen und zerebralen CT-Bildern wurde deutlich, wie heterogen Entscheidungen zu Beginn und bei der Durchführung einer Antagonisierung einer therapeutisch wirksamen Antikoagulation, zur Dauer einer Antikoagulationsunterbrechung und zum Einsatz einer intermittierenden Heparini­sierung sind. Aus Sicht der Autoren ist eine Indikation zur Antagonisierung einer therapeutisch wirksamen Antikoagulation prinzipiell gegeben. Der Verwendung von Prothrombinkomplex-Präparaten (Dosierungsvorschlag: 25 I.E. pro kg/Körpergewicht (KG) bei INR 2−4; 35 I.E. pro kg/KG bei INR 4−6; 50 I.E. pro kg/KG bei INR>6) sollte nach Meinung der Autoren der Vorzug gegeben werden, zumal der Einsatz von gefrorenem Frischplasma mit hohen Flüssigkeitsmengen assoziiert und daher nur bedingt praktikabel ist [12, 13].   Zudem zeigte eine randomisierte Studie unter Einschluss von 54 Patienten (ohne mechanische Herzklappe) mit intrazerebraler Blutung unter VKA einen Vorteil zugunsten von Prothrombinkomplex-Präparaten (Dosierung 30 I.E. pro kg/KG) im Vergleich zu gefrorenen Frischplasmen (20 ml pro kg/KG) bezüglich einer suffizienten Antagonisierung (INR≤1,2 innerhalb von drei Stunden) als auch bezüglich eines geringeren Risikos für eine Nachblutung [14]. Additiv sollten 10 mg Vi­tamin K (aufgrund des Anaphylaxie-Risikos langsam) intra­venös appliziert werden. Eine erneute Gabe von Vitamin K sollte nach Meinung anderer Autoren nach zwölf Stunden erwogen werden [4]. Die Verwendung von rekombinantem Faktor VIIa ist effektiv zur Antagonisierung von Vitamin-K-Antagonisten assoziierten Blutungen, weist jedoch ein vergleichsweise hohes Thromboembolie-Risiko auf und kann somit nicht empfohlen werden [15].   Die Maßnahmen zur Normalisierung der Gerinnungssituation sollten gleichzeitig mit einer intensivierten systolischen Blutdrucksenkung auf einen systolischen Zielwert von 140 mmHg einhergehen [16]. Eine Hypotension sollte strikt vermieden werden, da diese mit vermehrten renalen und kardialen Komplikationen assoziiert ist. Zudem sollte eine Normothermie und Normoglykämie angestrebt werden.   Eine weitere wichtige therapeutische Entscheidung bei Patienten mit Hirnblutung und mechanischer Herzklappe betrifft den Wiederbeginn einer oralen Antikoagulation. Unter besonderer Berücksichtigung der RETRACE-Daten [11] erscheint eine Antikoagulationspause von (mindestens) 7−14 Tagen in Abwägung des individuellen Thrombo­embolie- und Blutungsrisikos gerechtfertigt zu sein. Eine zu fordernde individuelle Entscheidung zur Länge der Antikoagulationspause sollte die Lokalisation, Ausdehnung und Dynamik der intrakraniellen Blutung sowie die Bauart und Position der mechanischen Herzklappe(n) berücksichtigen. Der Nutzen einer intermittierenden Heparinisierung ist bei subtherapeutischer INR auch für Patienten mit besonders hohem Thromboembolierisiko (wie beispielsweise einer unlängst implantierten mechanischen Klappe in Mitralposition) nicht sicher belegt und kommt daher einer Einzelfallentscheidung gleich. Eine Heparingabe sollte jedoch bei erneutem Beginn einer oralen Antikoagulation mittels eines VKA bis zum Erreichen einer INR≥2 erfolgen. Eine Thromboseprophylaxe mittels Heparin sollte nach Antagonisierung der oralen Antikoagulation bis zu deren Wiederbeginn erfolgen, wenn aufgrund der neurologischen Defizite nach intrakranieller Blutung oder aufgrund der Eigenanamnese ein relevantes Thromboserisiko besteht und bildgebend eine Blutungsstabilität gesichert werden konnte.        Referenzen Baumgartner H et al. Eur Heart J 2017;38:2739−2791. Eikelboom JW et al. NEJM 2013;369:1206−1214. Kirchhof P et al. Eur Heart J 2016;37:2893−2962. Panduranga P et al. World J Cardiol 2012;4:54−59. Chandra D et al. Interact Cardiovasc Thorac Surg 2013;16:520−523. AlKherayf F et al. Thromb Res 2016;144:152−157. Halvorsen S et al. Eur Heart J 2017;38:1455−1462. Nishimura RA et al. J Am Coll Cardiol 2017;70:252−289. Hemphill JC, 3rd et al. Stroke 2015;46:2032−2060. Steiner T et al. International journal of stroke: official journal of the International Stroke Society 2014;9:840−855. Kuramatsu JB et al. Eur Heart J 2018;39:1709−1723. Goldstein JN et al. Lancet 2015;385:2077−2087. Kuramatsu JB et al. Jama 2015;313:824−836. Steiner T et al. The Lancet Neurology 2016;15:566−573. Levi M et al. NEJM;2010;363:1791−1800. Boulouis G et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2017; 88:339−345.       Bild Copyright: Shutterstock® Puwadol Jaturawutthichai   Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge in unserer Online-Ausgabe.     Autoren:           Univ.-Prof. Dr. med. Karl Georg Häusler Haeusler_K@ukw.de                 Priv.-Doz. Dr. med. Joji B. Kuramatsu Joji.kuramatsu@uk-erlangen.de                   aus connexi  3-2019 NEUROLOGIE, NEUROINTENSIVMEDIZIN Neurowoche 2018, ANIM 2019 Kongressberichte       Titelbild Copyright: Alexey Kashpersky, Ukraine; Fotolia® Johan Swanepoel. Gestaltung: Jens Vogelsang    
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