Kräfte bündeln für eine bessere Schmerzversorgung
Anja Lamprecht
Schmerzmedizin heute Trotz einiger Erfolge in den letzten Jahren ist die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland immer noch nicht zufriedenstellend. Im Rahmen des 29. Schmerz- und Palliativtags trafen sich im Frühjahr 2018 erstmals die Präsidenten der drei großen Schmerzgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V., Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) e. V. und Deutsche Schmerzgesellschaft (DSG) e. V. mit dem Ziel gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Verbesserungen können nur dann eintreten, wenn die deutschen Fachgesellschaften ihre Kräfte bündeln, an einem Strang ziehen und miteinander in einem engen Dialog stehen. Sich trotz aller Differenzen auf die Gemeinsamkeiten zu besinnen und sich unabhängig von Verbandsgrenzen für eine bessere Schmerzversorgung einzusetzen – das war in Deutschland jahrelang nicht möglich. Zu unterschiedlich ist die Entstehungsgeschichte der mit der Schmerzmedizin befassten Fachgesellschaften, zu unterschiedlich auch die Schwerpunkte in ihrer Arbeit und die Art der Umsetzung. Nun sollen in einer gemeinsamen Initiative sowohl die Interessen der Patienten als auch der Ärzte nachhaltiger vertreten werden, auch auf politischer Ebene. Mit einer Stimme sprechen „Wichtig ist, dass wir trotz unserer unterschiedlichen Herangehensweisen nach Außen hin mit einer Stimme sprechen und unsere gemeinsamen Ziele mit gebündelter Kraft verfolgen“, erklärte der DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann. Auch der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft Prof. Dr. Martin Schmelz begrüßt den gemeinsamen Vorstoß: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Schmerzlinderung. Gemeinsam können wir die Herausforderungen meistern und die Schmerzversorgung verbessern.“ Die dringendsten Aufgaben, darin waren sich alle drei Präsidenten bei dieser ersten Bestandsaufnahme einig, liegen in der Verbesserung der Schmerzversorgung in der Breite und in der Sicherung der Praxen bzw. des Nachwuchses durch eine attraktivere Gestaltung des Fachgebiets. Dazu gehört unter anderem, die Arbeit in diesem Fachgebiet besser zu entlohnen, bürokratische Hürden bei Zulassungen und Prüfungen abzubauen und eine Bedarfsplanung einzufordern. „Die Sicherung der Bedarfsplanung funktioniert nur über den Facharztstatus“, ist sich BVSD-Präsident Prof. Dr. Joachim Nadstawek sicher. Wie auch in der Palliativmedizin besteht schon lange die Forderung nach einem eigenen Facharzt, der die Zersplitterung der Fachgebiete aufhebt. Hier gilt es laut Privatdozent Dr. Michael Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga e. V., auch Vorurteile abzubauen. „Schmerztherapeuten nehmen niemandem die Patienten weg, sie behandeln diejenigen, bei denen andere mit ihrem Teilgebiet nicht mehr weiterkommen. Da werden wir auch an unserer Kommunikation arbeiten müssen.“ „Schaut mehr auf den Menschen“ Mehr individualisierte, nicht nur evidenzbasierte Therapie für Schmerzpatienten wünscht sich Prof. Dr. Rita Süssmuth. So das Fazit der Bundestagspräsidentin a. D. und ehemaligen Bundesgesundheitsministerin in ihrer Eröffnungsrede zum 29. Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt. Der Fortschritt in der Medizin habe dafür gesorgt, den Menschen immer kleinteiliger zu durchleuchten. Auf der Strecke geblieben sei dabei der Mensch in seiner Gesamtheit. Den Patienten täte es gut, wenn die Behandlung weg von der rein evidenzbasierten Medizin wieder stärker hin zur individualisierten Medizin ginge. Man soll ruhig einmal die vorgegebenen Pfade verlassen und neue Wege einschlagen, auch wenn es eventuell mal ein Irrweg sei: „Daraus lernen Sie, und das ist gut!“ Ein Beispiel dieser „neuen Wege“ führte zurück in die Anfänge der Hospizbewegung Mitte der 1980er-Jahre. „Einen Ort für Menschen zu schaffen, die nicht Zuhause sterben können, das war damals ja völlig neu. Und dann hat man dort diesen Menschen die Hand gehalten. Das war garantiert nicht evidenzbasiert oder standardisiert, aber es hat geholfen!“ Manchmal müsse man eben einfach handeln. Eine flächendeckende Bedarfsplanung in der Schmerztherapie hält Rita Süssmuth für unerlässlich. Wenn die Lösung in der Einführung des Facharztes für Schmerzmedizin liegt, sollte dieser entsprechend eingefordert werden. Ein weiterer Wunsch ist, die Kosten-Nutzen-Relation nicht nur aus ökonomischer Sicht zu betrachten. „Es kann nicht sein, dass in sogenannte austherapierte Menschen kein Geld mehr investiert wird.“ Der Nutzen, wie etwa bessere Lebensqualität, sei bei kranken Menschen nun einmal nicht ökonomisch zu messen. Das „Kosten-Stoppschild“ gehöre abgebaut – vor allem in der Politik. Wichtig in dem Zusammenhang auch: „Therapie heißt nicht nur Medikamente, wir haben vielleicht zu hohe Erwartungen in die Forschung und die Medizin“, so Süssmuth. Doch Schmerzen und Leid lindern könnten ganz viele Maßnahmen: Bewegungstherapie etwa, oder Kunst- und Musiktherapie. „Hier wünsche ich mir mehr Offenheit und Austausch: Man kann nur von- und miteinander lernen.“ Rita Süssmuth war von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestags und von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Familie, Frauen, Jugend und Gesundheit. Zuvor war sie Professorin für Erziehungswissenschaften an den Universitäten Bochum und Dortmund und Direktorin des Forschungsinstituts „Frau und Gesellschaft“ in Hannover. Redaktion: Rüdiger Zart Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. aus connexi 7-2018 SCHMERZ und PALLIATIVMEDIZIN Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2018 in Frankfurt Kongressbericht Titelbild Copyright: ??? Gestaltung: Jens Vogelsang