Kardiovaskuläre Komplikationen nach Nierentransplantation
NTX - Kardiovaskuläre Komplikationen nach Nierentransplantation, Risk Assessment und Prävention von Timm Westhoff In den letzten Jahrzehnten ist es über Weiterentwicklungen der Immunsuppression gelungen, das kurzfristige Transplantatüberleben stetig zu verbessern. So lag bereits in der Elite-Symphony-Studie die Transplantatüberlebensrate nach einem Jahr bei über 90 % [1]. Das langfristige Patientenüberleben hat sich hingegen nicht in gleicher Weise verbessert. Eine der zentralen Ursachen dafür sind kardiovaskuläre Ereignisse, die nach wie vor die führende Todesursache nach Nierentransplantation darstellen. Aber woran liegt das und was können wir dagegen tun? Das kardiovaskuläre Risiko nierentransplantierter Patienten ist niedriger als dasjenige altersgematchter Patienten auf der Warteliste [2, 3]. Somit ist der erste Schritt zur Risikoreduktion die erfolgreiche Transplantation. Ursächlich dafür ist die Absenkung des Retentionsniveaus. Die Niereninsuffizienz führt zu einer akzelerierten Arteriosklerose, in deren Mittelpunkt eine Umwandlung von glatten Gefäßmuskelzellen in osteoblastenähnliche Zellen steht. Es kommt zu einer irreversiblen „Verknöcherung“ der Tunica media. Während wir das Fortschreiten dieses Phänomens durch die erfolgreiche Transplantation reduzieren, nehmen wir jedoch die kardiovaskulären Nebenwirkungen der notwendigen Immunsuppression in Kauf. Das kardiovaskuläre Risiko nierentransplantierter Pa-tienten ist somit zwar niedriger als im Falle eines Verbleibs an der Dialyse, es bleibt aber um ein Vielfaches höher als das der Allgemeinbevölkerung [2]. Nach Nierentransplantation existieren neben den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes, Hypercholesterinämie oder Nikotinabusus mehrere transplantationsspezifische Risikofaktoren (Abbildung 1). Von zentraler Bedeutung sind hier insbesondere die Dauer der Dialysepflicht vor der Transplantation, die Funktion des Transplantates und das immunsuppressive Regime. Bei nierentransplantierten Patienten gilt daher in besonderer Weise, dass eine bestmögliche Risikoreduktion nur durch ein „Drehen an möglichst vielen Schrauben” möglich ist. Die diesbezüglichen Optionen sollen im Folgenden zusammengefasst werden (Tabelle 1). Strategien zur Risikoreduktion Die Dauer der Dialysepflicht vor der Transplantation ist für das kardiovaskuläre Risiko von herausragender Bedeutung. Präemptiv transplantierte Patienten haben erwartungsgemäß das geringste Risiko. Es gibt überzeugende Daten, die zeigen, dass bereits sechs Monate Dialyse vor der Transplantation zu einer reduzierten Lebenserwartung führen [3]. Die klinische Konsequenz ist, dass jeder Patient so früh wie möglich transplantiert werden sollte. Aber wie wir alle leidvoll wissen: Wenn kein Lebendspender zur Verfügung steht, ist dies leichter gesagt als getan. Analog zur Allgemeinbevölkerung besteht auch nach Nierentransplantation ein inverser Zusammenhang zwischen der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und der kardiovaskulären Mortalität [4]. Dies bedeutet, dass all unsere Bemühungen zum bestmöglichen Funktionserhalt des Transplantates auch einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos dienen. Die Auswirkungen der einzelnen Immunsuppressiva auf kardiovaskuläre Risikofaktoren ist unterschiedlich. Während Calcineurininhibitoren und Steroide die Prävalenz der klassischen Risikofaktoren Hypertonie, Diabetes und Hyperlipidämie erhöhen, sind Mycophenolatmofetil und Belatacept diesbezüglich neutral. Therapieansätze für eine individualisierte Immunsuppression bei hohem kardiovaskulären Risiko sind daher zum Beispiel CNI-Minimierungs- oder Entzugsprotokolle, etwa durch Konversion auf einen mTOR-Inhibitor. Nach vielversprechenden antiarteriosklerotischen Ergebnissen im Mausmodell ist mit der ELEVATE-Studie eine prospektive randomisierte Studie aufgelegt worden, in der die kardiovaskulären Effekte einer Konversion von Calcineurininhibition auf Everolimus untersucht wurden [5, 7]. Der erhoffte signifikante Effekt auf den linksventrikulären Massenindex und die Pulswellengeschwindigkeit (Substudie) ließ sich leider nicht nachweisen. Mit einem mittleren Alter von 46 Jahren und einem Lebendspendeanteil von 43 % handelte es sich allerdings auch um ein kardiovaskulär ungewöhnlich gesundes Kollektiv. Steroidentzug als alternativer Ansatz führt zu einer geringeren Hypertonie- und Hyperlipidämieprävalenz sowie – wie gerade durch die Harmony-Studie eindrücklich bestätigt – zu einer geringeren Prävalenz eines Posttransplantationsdiabetes [8, 9]. Erkauft werden diese Effekte jedoch durch ein in Metaanalysen ersichtliches etwa 50 % erhöhtes Risiko für akute Rejektionen [9]. Einen Meilenstein in unserem Verständnis der Atherosklerose stellt die Cantos-Studie dar. Unter der Annahme, dass es sich nicht nur um eine metabolische, sondern auch eine inflammatorische Erkrankung handelt, wurde eine Interleukin-1-Hemmung mit Canakinumab bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) durchgeführt und in der Tat eine signifikante Reduktion von kardiovaskulären Endpunkten erzielt [10]. Mit Blick auf unsere nierentransplantierten Patienten zeigt diese Studie nachdrücklich, dass Immunsuppression nicht zwangsläufig zu einer Steigerung des kardiovaskulären Risikos führen muss, sondern dieses sogar reduzieren kann. Klassische Risikofaktoren Wie sieht es bei den klassischen Risikofaktoren aus? Mit der Alert-Studie existiert eine prospektive Untersuchung zum Einsatz von Statinen nach Nierentransplantation, die über fünf Jahre eine 35%ige Risikoreduktion für Myokardinfarkt und kardialen Tod aufzeigt [11]. Die KDIGO-Leitlinien nahmen dies auf und fordern, dass jeder erwachsene nierentransplantierte Patient ein Statin erhält [12]. Wir setzen jenseits der CSE-Hemmer mittlerweile auch PCSK9-Hemmer nach Transplantation sein. Bei der Hypertriglyceridämie – z. B. im Rahmen einer mTOR-Inhibition – stehen Lifestylemaßnahmen im Vordergrund. In den letzten zwei Jahren sind ferner sehr interessante assoziative Daten erschienen, in denen die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren sowohl mit einem verbesserten Graft- als auch Patientenüberleben nach Nierentransplantation assoziiert ist [13, 14]. Von einer Fibrattherapie sollte bei transplantierten Patienten mit Triglyceridkonzentrationen unter 1.000 mg/dl und ohne stattgehabte Pankreatitis Abstand genommen werden. Vor fünf Jahren wurde erstmalig über eine Vermeidung von Posttransplantationsdiabetes durch einen frühzeitigen Einsatz eines Basalinsulins und eine dadurch entstehende „Entlastung“ der Betazellen berichtet [15]. Die klinische Erfahrung bestätigt die Wirksamkeit dieses einfachen Konzeptes, so dass dies mittlerweile zur gelebten Praxis in unserem Zentrum gehört. Seit der Sprint-Studie ist eine rege Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Zielblutdruckwerten <130 mmHg entstanden. Für die Nephroprotektion gilt, dass ein zusätzlicher Benefit dieser sehr niedrigen Zielblutdruckwerte gegenüber <140 mmHg vornehmlich für proteinurische Patienten existiert [16]. Eine Endpunktstudie zur Definition des optimalen Zielblutdrucks nach Nierentransplantation wird es vermutlich niemals geben. Eigene noch unveröffentlichte retrospektive Daten von über 800 Patienten aus Bochum und Berlin zeigen ein besseres Patienten- und Transplantatüberleben für Werte <130 mmHg als für Werte von 130–140 mmHg und bestätigen die KDIGO-Empfehlung eines Zielblutdrucks <130 mmHg [12]. Dass Thrombozytenaggregationshemmer in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse auch bei nierentransplantierten Patienten effektiv sind, ist wenig verwunderlich. Interessant sind hingegen assoziative Daten, die nahelegen, dass auch das Transplantat von einer ASS-Therapie profitieren könnte [17]. Sowohl mit Blick auf das hohe kardiovaskuläre Risiko der Patienten als auch den möglichen nephroprotektiven Effekt sollte daher bei Transplantierten die Indikation zu einer ASS-Therapie großzügig gestellt werden. Die Mehrheit nierentransplantierter Patienten entwickelt eine Hyperurikämie. Zumeist bleibt diese asymptomatisch und stellt leitliniengemäß keine Behandlungsindikation dar. In einer retrospektiven Analyse von Pagonas et al. zeigte sich kürzlich eine Assoziation einer harnsäuresenkenden Therapie mit einem besseren Patienten- und Graftsurvival [18]. Dieser Zusammenhang blieb auch nach Adjustierung für Alter und GFR stabil. Möglicherweise stellt damit auch eine Allopurinol-Therapie eine Möglichkeit zur kardiovaskulären Risikoreduktion dar. Für nicht transplantierte niereninsuffiziente Patienten laufen mit CKD-FIX und PERL diesbezüglich prospektive Studien. Fazit Zusammengefasst existieren zur Senkung des kardiovaskulären Risikos nach Nierentransplantation eine Vielzahl von Möglichkeiten. Neben einer individualisierten Immunsuppression stehen der Einsatz von CSE-Hemmern, eine konsequente Blutdrucksenkung, der frühzeitige Insulineinsatz zur Vermeidung eines Posttransplantationsdiabetes sowie eine großzügige Indikationsstellung zu ASS und Allopurinol im Mittelpunkt. Nur wenn wir an vielen dieser Schrauben gleichzeitig drehen, werden wir langfristig das Patientenüberleben nach Nierentransplantation verbessern können. Referenzen Ekberg H, Tedesco-Silva H, Demirbas A et al. Reduced exposure to calcineurin inhibitors in renal transplantation. N Engl J Med 2007; 357: 2562–75. 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