Inflammation – Hoffnung oder Irrweg der Vasoprotektion
Anja Lamprecht
ATHEROSKLEROSE von Karsten Grote und Bernhard Schieefer, Marburg Das heutige Wissen zu Entstehung und Fortschreiten der Atherosklerose durch einen chronischen Entzündungsprozess der arteriellen Gefäßwand ist durch intensive Grundlagenforschung und zahlreiche klinische Studien geprägt worden. So kennt man heute beispielsweise die integrale Bedeutung der angeborenen aber auch der erworbenen Immunantwort bei der Pathogenese der Atherosklerose. Vaskuläre Inflammation stellt dabei lebenslang sinnbildlich ein Damokles-Schwert als zentralen Stimulus für das maladaptive pathologische Gefäßremodeling zur Entstehung und Ruptur atherosklerotischer Plaques dar. Mit dieser Bedrohung muss ein Patient leben! Sie spielt eine zentrale Rolle beim Management der Risikofaktoren, bei der klinischen Intervention sowie bei der medikamentösen Therapie. Pathogenese der Atherosklerose Das Verständnis zur Pathogenese der Atherosklerose hat sich im Laufe der Zeit verändert und wird heute als ein lebenslanger Prozess der vaskulären Inflammation, des Remodelings, aber auch der Regeneration verstanden. Schon Rudolf Virchow hat die Atherosklerose 1856 nicht nur klar von bakteriellen Infektionserkrankungen abgegrenzt, er hat sie auch bereits als lebenslange Bedrohung beschrieben [1]. Ende der 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts war dann die Bedeutung von Signalkaskaden, oxidativem Stress, Plasmalipidspiegel, zellulären sowie hormonellen Faktoren als Ursache für die entzündliche Reaktion in der Gefäßwand bekannt. Das Time Magazine berichtete über den damals überraschenden Zusammenhang von Entzündung und Herzinfarkt, Tumorerkrankungen, Alzheimer und weiteren Erkrankungen. Aber wie genau stellt sich der Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Inflammation dar? Zahlreiche, gut im Blut nachzuweisende Faktoren sind als mögliche Biomarker für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse identifiziert worden, und ihre Zahl wächst stetig. Den besten prognostischen Wert in der Frühphase solcher Studien erreichte das C-reaktive Protein (CRP), ein eher allgemeiner Entzündungsmarker, der jede Art von Inflammation im Körper anzeigt [2]. Durch die Verfügbarkeit der cholesterinsenkenden Statine ab Ende der 1980er-Jahre des letzten Jahrhunderts ist es erstmals gelungen, das Mortalitätsrisiko von kardiovaskulären Patienten medikamentös zu senken. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Patienten mit niedrigen CRP am meisten von einer Statintherapie profitieren [3]. Der Einfluss von allgemeiner Inflammation auf die kardiovaskuläre Mortalität wurde erstmals in der Nurses‘ Health Study deutlich. In einer Studienpopulation ohne traditionelle kardiovaskuläre Risikofaktoren hatten jene Probanden das höchste Myokardinfarktrisiko, die im Verlauf der Studie eine entzündliche rheumatoide Arthritis entwickelten [4]. Unsere eigenen Forschungsergebnisse zeigen, dass bereits eine niedrigschwellige bakterielle Zahnfleischentzündung (Gingivitis) in gesunden jungen Probanden zum deutlichen Anstieg allgemeiner Entzündungsmarker wie CRP führt und damit auch deren kardiovaskuläres Risikoprofil ansteigen lässt [5]. Bei Patienten, die unter einer schwerwiegenden bakteriellen Entzündung des Zahnbetts leiden (Parodontitis), führt eine intensive Behandlung der Krankheit kurzfristig zu erhöhten systemischen Entzündungsmarkern und einer Endotheldysfunktion, längerfristig aber zu einer verbesserten Endothelfunktion [6]. Ein synergistischer Effekt von Inflammation und kardiovaskulärem Risiko scheint aber nicht unbedingt allgemeingültig zu sein, da es bisher in keiner Studie gelungen ist, kardiovaskuläre Ereignisse durch eine Antibiotikatherapie gegen bakterielle Erreger zu senken [7]. Es gibt also offensichtlich keinen direkten Zusammenhang zwischen bakterieller Infektion und kardiovaskulären Ereignissen. Es stellt sich die Frage, ob eine Impfstrategie gegen die zugrunde liegende Atherosklerose denkbar ist, wie sie bei zahlreichen Infektionserkrankungen seit langer Zeit erfolgreich angewendet wird. In dem Zusammenhang ist seit über zehn Jahren bekannt, dass eine Grippeschutzimpfung die Ereignisrate von kardiovaskulären Patienten zu senken vermag [8]. Was aber könnte das atherosklerosespezifische Antigen sein, gegen den der Impfstoff hergestellt werden soll? In verschiedenen präklinischen und klinischen Studien sind dazu bereits Antigene, wie sie in spezifischen Immunzellen im atherosklerotischen Plaque oder in Enzymen und Rezeptoren zur Synthese und Transport von Cholesterin vorkommen, genutzt worden [9]. Die Ergebnisse dieser Studien sind vielversprechend, insgesamt steckt eine solche Impfstrategie aber noch in den Kinderschuhen. Im letzten Jahr hat eine Studie für erhebliches Aufsehen gesorgt, bei der durch eine Therapie gegen Interleukin-1 (Canakinumab) erstmals kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten reduziert werden konnten [10]. Auch die Akut-Phase-Reaktion, eine unspezifische Immunantwort im Rahmen einer Entzündung, könnte zukünftig Ziel neuer Medikamente sein. Der Einfluss der Akut-Phase-Reaktion auf die Atherosklerose konnte von uns bereits in präklinischen Modellen sowie in genetischen Assoziationsstudien bei Patienten identifiziert werden [11]. Wo stehen wir beim Verständnis und der Therapie der Atherosklerose? Die Pathogenese der Atherosklerose wird heute als multifaktorieller Prozess verstanden. Risikofaktoren wie Rauchen und Vorerkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, erhöhte Cholesterinwerte aber auch systemische Entzündung bestimmen das individuelle Risiko der Patienten und führen über eine Vielzahl immunologischer Prozesse zum Entstehen und Fortschreiten atherosklerotischer Plaques in der arteriellen Gefäßwand. Eine medikamentöse Therapie der Vorerkrankungen (z. B. Cholesterin-Senkung durch Statine) wird bereits seit Jahrzehnten durchgeführt, aber auch eine medikamentöse Hemmung chronisch entzündlicher Prozesse in der Gefäßwand kann aufgrund der aktuellen Studienlage ein Therapieziel sein. Allerdings muss Inflammation nicht unbedingt immer einen negativen Einfluss auf die Gefäße haben. So konnte unter anderem unsere Arbeitsgruppe in den letzten Jahren in präklinischen Modellen durch eine spezifische Stimulation von Immunrezeptoren zur Pathogenerkennung (Toll-like-Rezeptor) zeigen, dass durch eine kurzfristig gesteigerte Inflammation die Neubildung und Reparatur von Blutgefäßen vorangetrieben wird [12,13]. Zukünftig bieten diese neuen Befunde Potenzial für eine verbesserte Therapie von kardiovaskulären Patienten. Referenzen Virchow RLK. Der artheromatöse Prozess der Arterie. Wiener Medizinische Wochenschrift 1856; 51. Ridker PM, Glynn RJ, Hennekens CH. C-reactive protein adds to the predictive value of total and HDL cholesterol in determining risk of first myocardial infarction. Circulation 1998; 97: 2007–11. Ridker PM, Cannon CP, Morrow D et al. C-reactive protein levels and outcomes after statin therapy. N Engl J Med 2005; 352: 20–8. Solomon DH, Karlson EW, Rimm EB et al. Cardiovascular morbidity and mortality in women diagnosed with rheumatoid arthritis. 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Bernhard Schieffer bernhard.schieffer@staff.uni-marburg.de aus connexi 4-2018 Kardiologie Titelbild Copyright: David Lohr/Laura Schreiber (DZHI, Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg) Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen