Hypertonie und Genetik
pascal lehwark
von Ute Scholl, Düsseldorf Hypertonie und Genetik Genetische Einflussgrößen des Bluthochdrucks und des Hyperaldosteronismus Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen unter arterieller Hypertonie. Als Hauptrisikofaktor für Mortalität trägt Bluthochdruck jährlich zu mehr als neun Millionen Todesfällen weltweit bei [1]. Neben Umweltfaktoren liegen dem Bluthochdruck genetische Mechanismen zugrunde: 50–60 % der Variabilität des Langzeitblutdrucks (jedoch geringere Anteile von Klinikmessungen) sind durch genetische Faktoren bestimmt [2]. Ein Ansatzpunkt zur Entschlüsselung genetischer Ursachen ist die Untersuchung von Familien mit seltenen, monogenetischen Formen extremer Hypertonie [3]. Die meisten dieser Gene betreffen entweder die Produktion oder Wirkung von Aldosteron oder die Salzresorption in der Niere. Beispiele sind der apparente Mineralokortikoid-Exzess (AME) [4], das Liddle-Syndrom [5, 6] oder der Pseudohypoaldosteronismus Typ 2 [7, 8]. Von monogenetischen Erkrankungen sind nur sehr wenige Patienten betroffen. Aber auch genomweite Assoziationsstudien (GWAS) mit bis zu 200.000 Probanden haben zwar zur Identifikation assoziierter Varianten beigetragen, diese haben jedoch nur geringe Auswirkungen auf den Blutdruck, meist weniger als 1 mmHg. Kumulativ erklären solche Varianten nur ca. 2 % der Erblichkeit von Bluthochdruck [2]. Somit bleibt der Großteil der genetischen Ursachen von Bluthochdruck unbekannt. Fortschritte im Bereich des primären Hyperaldosteronismus Große Fortschritte konnten in den letzten Jahren im Verständnis der Genetik des primären Hyperaldosteronismus erzielt werden, der häufigsten Form der sekundären Hypertonie. Bei ca. 60 % der Patienten liegt ein idiopathischer Hyperaldosteronismus vor, bei ca. 30–40 % ein gutartiger Tumor (Aldosteron-produzierendes Adenom). Bereits 1992 wurde als Ursache des autosomal-dominant vererbten Glukokortikoid-supprimierbaren Hyperaldosteronismus ein Cross-over zwischen den homologen Genen CYP11B1 (11-ß-Hydroxylase) und CYP11B2 (Aldosteron-Synthase) beschrieben [9]. Das chimäre Gen wird wie CYP11B1 durch adrenocorticotropes Hormon (ACTH) reguliert, das codierte Enzym hat jedoch Aldosteron-Wirkung. Hemmung der ACTHProduktion durch exogene Steroidgabe, ggf. in Kombination mit Aldosteronantagonisten, führt zur Blutdrucknormalisierung. In den vergangenen fünf Jahren wurden durch Exomsequenzierung (Sequenzierung aller proteincodierenden Gene) die Ursachen von Aldosteron-produzierenden Adenomen untersucht. Bei ca. 40 % der Tumoren liegen tumorspezifische (somatische) heterozygote Mutationen im Kaliumkanal KCNJ5 vor, die eine Natriumpermeabilität bewirken [10]. Die dadurch bewirkte Depolarisation der Zellmembran führt zum Öffnen spannungsgesteuerter Calciumkanäle, Calciumeinstrom, Aldosteronproduktion und Proliferation. Die gleichen oder ähnliche Mutationen treten auch in der Keimbahn bei Patienten mit erblichem primärem Hyperaldosteronismus in der Kindheit auf [11]. Der Bluthochdruck als Hauptrisikofaktor für Mortalität trägt weltweit jährlich zu mehr als neun Millionen Todesfällen bei. Bei weiteren ca. 10 % der Aldosteron-produzierenden Adenome finden sich somatische CACNA1D-Mutationen. Dieses Gen codiert für einen L-Typ-Calciumkanal, und die Mutationen führen zu einem erhöhten Calciumeinstrom. Dadurch kommt es wiederum zu einer Aktivierung der Signalwege für die Aldosteronproduktion. CACNA1D-Keimbahnmutationen führen zu Hyperaldosteronismus, Krampfanfällen und schweren neurologischen Auffälligkeiten in der Kindheit [12]. Seltenere Ursachen von Aldosteron-produzierenden Adenomen sind Mutationen in ATP1A1 (einer Untereinheit der Natrium-Kalium-ATPase) und ATP2B3 (eine Untereinheit der Plasma-Membran-Calcium-ATPase). Diese führen wie KCNJ5-Mutationen zu einer Depolarisation. Interessanterweise treten Mutationen in CACNA1H und ATP1A1 auch in sogenannten Aldosteron-produzierenden Zellclustern bei Gesunden auf [13]. Möglicherweise stellen diese Strukturen Vorstufen von Tumoren dar und sind das morphologische Korrelat eines subklinischen Hyperaldosteronismus, der auf Aldosteronantagonisten anspricht. Schließlich konnte kürzlich eine Mutation in einem weiteren Calciumkanal, CACNA1H, als Ursache von erblichem primärem Hyperaldosteronismus beschrieben werden [14]. Diese führt ebenfalls zu verstärktem Calciumeinstrom. Calcium als wichtigster Signalweg für die Aldosteronproduktion erscheint daher vielversprechend für die Entwicklung neuer Medikamente zur Therapie des primären Hyperaldosteronismus. Praxisrelevanz Diese Beobachtungen sind relevant für die Diagnose seltener, erblicher Hypertonieformen. Denken sollte man an solche Formen besonders bei Patienten mit Hypertonie in jungen Jahren, schwerer oder therapieresistenter Hypertonie, positiver Familienanamnese und/oder Hypokaliämie. Als erster Schritt empfiehlt sich die Bestimmung der Plasma-Renin- Aktivität (PRA). Ist diese normal oder erhöht, ist eine monogenetische Hypertonie fast ausgeschlossen (Ausnahme: Hypertonie mit Brachydaktylie [15]). Bei niedrigem PRA spricht eine Hyperkaliämie für eine eingeschränkte Nierenfunktion oder einen Pseudohypoaldosteronismus Typ 2. Bei Hypokaliämie sollte das Aldosteron gemessen werden. Erhöhte Werte weisen auf einen primären Hyperaldosteronismus hin, evtl. mit familiärer Komponente. Bei normalen oder erniedrigten Werten ist differenzialdiagnostisch an ein adrenogenitales Syndrom (Klinik!), einen apparenten Mineralokortikoid-Exzess (rezessiv) oder ein Liddle-Syndrom (dominant) zu denken. Genetische Untersuchungen auf hereditäre Hypertonieformen führen wir im Rahmen unserer Forschung kostenlos durch. Referenzen Lim SS, Vos T, Flaxman AD, Danaei G et al. A comparative risk assessment of burden of disease and injury attributable to 67 risk factors and risk factor clusters in 21 regions, 1990-2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet 2012; 380(9859): 2224–60. Padmanabhan S, Caulfield M, Dominiczak AF. Genetic and molecular aspects of hypertension. Circ Res 2015; 116(6): 937–59. Lifton RP, Gharavi AG, Geller DS. Molecular mechanisms of human hypertension. Cell 2001; 104(4): 545–56. Mune T, Rogerson FM, Nikkilä H et al. Human hypertension caused by mutations in the kidney isozyme of 11 beta-hydroxysteroid dehydrogenase. Nat Genet 1995; 10(4): 394–9. Shimkets RA, Warnock DG, Bositis CM et al. Liddle‘s syndrome: heritable human hypertension caused by mutations in the beta subunit of the epithelial sodium channel. Cell 1994; 79(3): 407–14. 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Ute Scholl ute.scholl@med.uni-duesseldorf.de Copyright: Shutterstock® Sergey Nivens, Shutterstock® chromatos aus connexi 3-2016 September bis Oktober 2015 DGfN, ESOT und DTG 2015 Konferenzberichte