Highlights und Schwerpunkte der ANIM 2017
Interview mit Herrn Professor Dr. med. Jörg Weber Vom 16.−18. Februar 2017 lag für drei spannende Tage der Fokus auf der Neurointensivmedizin: Rund 1.600 Mediziner und Pflegefachkräfte waren der Einladung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zur 34. ANIM 2017-Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin nach Wien gefolgt und erhielten ein umfassendes Update ihres Wissensstandes im Bereich der Neurologie, Intensivmedizin und Neurochirurgie. Im folgenden Interview äußert sich der diesjährige Kongresspräsident Prof. Dr. Jörg R. Weber, Vorstand der Neurologischen Abteilung des Klinikums Klagenfurt am Wörthersee, zu den Highlights der Tagung und neuen Entwicklungen im Bereich der Neurointensivmedizin. Als größte neurointensivmedizinische Tagung im deutschsprachigen Raum hat sich die ANIM in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt und gilt mittlerweile als Plattform für wissenschaftlichen Austausch und Fortbildung für alle Neurointensivmediziner. Welche Impulse gehen von der Tagung aus? In der Intensivmedizin haben Erkrankungen des Gehirns immer eine wichtige Rolle gespielt und erfordern eine besondere Expertise. Die ANIM hat sich als Plattform für Neurologen und Neurochirurgen, die intensivmedizinisch arbeiten, etabliert. Sie dient dem Austausch und der Diskussion über die Behandlung bei schwersten Erkrankungen des Nervensystems. Die frühzeitige Fokussierung auf Ausbildung hat die Tagung zu einer Wissensplattform für Neurointensivmediziner aller Disziplinen entwickelt. Neurointensiv ist interdisziplinär, interprofessionell und international und wird seit vielen Jahren im deutschen Sprachraum sehr lebendig betrieben. Das wissenschaftliche Programm war 2016 vielseitig und, wie in den letzten Jahren, wieder äußerst umfangreich. Welche wichtigen Schwerpunkte wurden gesetzt? Eine nahezu revolutionäre Entwicklung findet gerade in der Behandlung des Schlaganfalls durch die mechanische Wiedereröffnung großer Gefäße statt. Die Etablierung dieser Therapieform macht die Beschäftigung mit der Versorgung vor und nach diesen endovaskulären Eingriffen zu einer dringlichen Notwendigkeit. Die Definition der Abläufe der Behandlung von schweren Schlaganfällen in der Notfallversorgung, in regionalen und überregionalen Netzwerken sowie in den Klinken selbst ist von größter Bedeutung. Die Neuroinfektiologie, Erkrankungen wie die „bakterielle Meningitis“, verändern sich in ihrer Häufigkeit und Manifestation. Impfprogramme verändern in weiten Teilen Europas die Epidemiologie der Erkrankungen. Damit werden diese immer seltener und bedürfen besonderer klinischer Wachsamkeit. Geklärt werden konnte auch, dass eine Reihe von entzündlichen Erkrankungen durch autoimmune Prozesse hervorgerufen werden, die zunehmend neurointensivmedizinische Kompetenz erfordern. Früher völlig unverständliche Entzündungen des Gehirnes (Enzephalitiden) konnten in den letzten Jahren durch die Identifizierung von Antikörpern in ihrer Entstehung geklärt, aber auch behandelbar gemacht werden. Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich dem Gerinnungssystem mit Fokus auf das Gehirn, wobei hier Hirnblutungen, deren Behandlung und Vermeidung im Zentrum stehen. Dies ist von besonderer Aktualität, da durch die Entwicklung neuer gerinnungshemmender Substanzen neue Chancen, aber auch Risiken für Patienten entstanden sind. Die Körpertemperatur ist ein lange und heftig diskutiertes Thema der Neurointensivmedizin. Fieber selbst ist schlecht für die Gehirnfunktion und eine moderate Abkühlung könnte bei einigen Krankheiten schützend, „neuroprotektiv“ wirken. Aus diesem Grund ist Temperaturmanagement von Neurointensivpatienten bei dieser Tagung ein wichtiges Thema. In Wien konnten auch neue Erkenntnisse zum spannenden Thema der Interaktion von Gehirn und Immunsystem vorgestellt werden. Welche Rolle spielen die interagierenden zwei Supersysteme bei Schlaganfall – in der Akutphase und für die Regeneration? Schäden am Gehirn durch Trauma oder Sauerstoffmangel haben logischerweise einen Einfluss auf das Immunsystem. Was neu und zunehmend verstanden wird, ist, dass das Immunsystem auf der einen Seite zur Schadensbegrenzung und durch Produktion von Botenstoffen auch zur Einleitung von Regeneration führen kann. Eine Überreaktion kann aber Schäden am Gehirn verursachen. Diese Interaktionen wurden früher bei klassischen entzündlichen ZNS-Erkrankungen studiert, ihre Bedeutung aber auch beim Schlaganfall erkannt. Daher gab es zu diesem Thema ein spezielles Symposium. Beim Präsidentensymposium wurde auch in diesem Jahr auf besondere Themen eingegangen. Worum ging die Diskussion diesmal? Das Präsidentensymposium war natürlich auch ein Spiegel meiner eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit, und so referierte Prof. van de Beek über eine der klassischen Erkrankungen der Neurointensivmedizin, nämlich die bakterielle Hirnhautentzündung. Herr Prof. Schmutzhardt setzte sich mit der Frage auseinander, ob Migranten auch neue ZNS-Infektionen nach Europa getragen haben und welche Rolle diese spielen. Im dritten Vortrag wurden von Herrn Prof. Eelco F. Wijdicks aus Rochester/USA, einem der führenden Hirntodexperten und Neurointensivmediziner, medizinische, ethische und auch gesellschaftliche Aspekte im Wechselspiel Neurointensivmediziner und Hirntoddiagnose diskutiert. Gerade in der Neuro-Intensivmedizin sind ethische Fragestellungen ein großes Thema. Wie hat sich die in Kraft getretene neue Leitlinie zur sogenannten Hirntodbestimmung bewährt? Inzwischen spricht man vom „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“. Gab es Diskussionen zur sinnvollen Umsetzung der Qualitätsanforderungen? Neurointensivmedizin ist eine Auseinandersetzung mit schwersten Erkrankungen des Gehirns, die sehr oft mit erheblichen Funktionsausfällen einhergehen. Nahezu jeder diagnostische oder therapeutische Schritt ist auch von Fragen begleitet, wie z. B. „Welches Leben erwartet den Patienten nach der Neurointensivtherapie? Wie wird der Einzelne mit Behinderung, mit Pflege etc. zurechtkommen?“ Ethische Fragen, auch im Spiegel der Gesellschaft, werden in Zukunft die Neurointensivmedizin begleiten. Der maximale Funktionsverlust des Gehirnes ist der irreversible Hirnfunktionsausfall, der Hirntod und zugleich der Tod des Menschen. Durch die Leitlinien und die neue Leitlinie in Deutschland, aber auch in Österreich, ist die Methode der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalles nachvollziehbar, führt qualitative Kriterien ein, macht sie noch transparenter für alle daran beteiligten Berufsgruppen. Wenn Sie in die Zukunft schauen, mit Blick auf die nächsten Jahre der Neurointensivmedizin – Welche Entwicklungen könnten zur weiteren Verbesserung beitragen? Wie sieht etwa die Zukunft der Schlaganfall-Versorgung aus? Durch die Spezialisierung hat sich die Neurointensivmedizin in den letzten Jahren extrem entwickelt. Bei einzelnen Erkrankungsbildern konnten die Überlebensraten deutlich verbessert werden, aber auch das qualitative Ergebnis, die erreichte Lebensqualität nach schweren neurologischen Erkrankungen hat sich stark verbessert. Die Zukunft liegt klar in einer weiteren Spezialisierung. Die Entwicklung in der Schlaganfall-Versorgung zeigt den Bedarf nach neurointensivmedizinischem „Know-how“ in dramatischer Weise. Lokale Versorgungsnetzwerke mit definierten Patientenpfaden von der Notfallversorgung bis zur Qualitätssicherung und Rehabilitation werden die Zukunft der Schlaganfall-Versorgung charakterisieren. Auf der anderen Seite muss diese Spezialisierung natürlich interdisziplinär und interprofessionell verwoben sein. Neben der postoperativ anästhesiologischen, der internistischen und der pädiatrischen Intensivmedizin ist die Neurointensivmedizin einer der vier wichtigen Leuchttürme der Behandlung und im Fortschritt der Intensivmedizin. Herzlichen Dank für diese Einblicke in die Themen bei der ANIM 2017. Die Fragen stellte Kerstin Aldenhoff, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Conventus Congressmanagement & Marketing GmbH Bildcopyright: Im Interview: Professor Dr. med. Jörg Weber, Klagenfurth neurologie.klagenfurt@kabeg.at aus connexi 1-2017 September 2016 bis Februar 2017 Neurologie, Neurointensivmedizin, Psychiatrie DGN 2016, DGPPN 2016, ANIM 2017 Kongressberichte