Epilepsie
Anja Lamprecht
Anwendungsbeispiel für einen Anfallsdetektor von Kevin Klett Mehr als 50 Millionen Menschen weltweit (0,5 %−1 % der Weltbevölkerung; in Deutschland bis zu 800.000 Menschen) leiden an Epilepsie und deren psychischen und sozialen Folgen. Epilepsie zählt damit zu den häufigen chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems weltweit [1]. Für eine schnelle und adäquate Therapie der Patienten ist eine objektive Einschätzung der Anfallsaktivität essenziell. Anfallskalender sind ungenau und oft unvollständig. Ein innovatives ambulantes Detektionssystem zur objektiven Detektion von generalisierten und fokalen epileptischen Anfällen hat das Potenzial, die individuelle Therapie bei Epilepsie-Patienten zu optimieren. Das Krankheitsbild Epilepsie ist durch das Auftreten von nicht provozierten epileptischen Anfällen gekennzeichnet und gehört zu den häufigen neurologischen Erkrankungen. Die Epilepsie ist durch einen chronischen Verlauf gekennzeichnet, d. h. die Erkrankung begleitet die Betroffenen ihr komplettes Leben lang. Grob lassen sich die epileptischen Anfälle in zwei wesentliche Typen unterscheiden, „große“ und „kleine“ Anfälle: „Große“ Anfälle (generalisiert tonisch-klonische Anfälle, GTKA) sind für Umstehende besonders eindrücklich. Sie machen etwa ein Drittel [2] aller epileptischen Anfälle aus und äußern sich beispielsweise durch Versteifungen des gesamten Körpers, Zuckungen, Speichelfluss und Bewusstseinsverlust. „Kleine“ Anfälle (fokale Anfälle) verzeichnen mit ca. zwei Drittel den größeren Anteil aller epileptischen Anfälle [2]. Sie äußern sich für Umstehende weniger offensichtlich z. B. in Bewusstseinstrübungen oder unangepassten Handlungen, wie unbewusstes und orientierungsloses Weglaufen. Permanente Anspannung beeinträchtigt die Lebensqualität Die Auswirkungen von epileptischen Anfällen können je nach Art und Häufigkeit das Leben im Alltag und im Beruf eines Betroffenen sehr stark einschränken. So werden viele profane Dinge, wie das Ausüben von Sport oder der Weg zum Supermarkt, für den Betroffenen zur Überwindung. Des Weiteren ist die psychische Belastung durch die Angst, jederzeit einen Anfall bekommen zu können, eine der größten Belastungen und Einschränkungen für den Betroffenen. Im schlimmsten Fall können epileptische Anfälle auch zum plötzlichen Tod führen (SUDEP „Sudden Unexpected Death in Epilepsy Patients“) [3]. Neben den Risiken und Herausforderungen für den Patienten an sich wirkt sich die Diagnose Epilepsie aber auch auf das allgemeine Familienleben und andere nahestehende Personen aus. Studien zeigen, dass Eltern, deren Kinder unter epileptischen Anfällen leiden, mehrmals in der Nacht den Zustand ihres Kindes überprüfen [4]. Dies führt zu deutlich reduzierter Schlafqualität aufseiten der Eltern. Derzeitige Alternativen zur Überwachung des Betroffenen, wie beispielsweise Babyphones oder Nachtkameras führen zu zusätzlichem Stress, Frust und Schlafunterbrechungen aufseiten der Angehörigen und Betroffenen [5]. Anfallsdokumentation ist essenziell Mithilfe von Antiepileptika können epileptische Anfälle in vielen Fällen unterdrückt werden. Für die bestmögliche Therapie müssen dem behandelnden Arzt jedoch genaue Informationen über die Häufigkeit und Semiologie (Ablauf der Anfälle) bekannt sein. Bis dato werden Anfallskalender eingesetzt, um die Anfälle zu dokumentieren. In diesen muss der Zeitpunkt, die Dauer und im Optimalfall der Anfallstyp notiert werden. Basierend auf diesen subjektiven Werten versucht der behandelnde Arzt die Medikation des Patienten einzustellen. Eine Studie zeigt jedoch, dass diese Anfallskalender viel zu ungenau sind und lediglich ca. 50 % der Anfälle durch den Betroffenen richtig erfasst bzw. wahrgenommen und somit notiert werden [6]. Eine objektive Einschätzung der Anfallsaktivität ist aber essenziell für die schnelle und adäquate Therapie der Patienten, auch um die Langzeitprognose positiv zu beeinflussen. Neue Qualität der Anfallseinschätzung Ziel des Vorhabens monikit ist die Entwicklung eines ambulanten Systems zur objektiven Detektion von generalisierten und fokalen epileptischen Anfällen im Alltag mit dem Ziel der optimalen Einstellung einer individuellen Therapie bei Epilepsie-Patienten. Über ein Sensorsystem sollen epileptische Anfälle im Alltag objektiv erkannt und in einem cloudbasierten Anfallskalender dokumentiert bzw. klassifiziert werden. Auf Basis dieser Dokumentation ist es dem Arzt möglich die Medikation personalisiert an den Patienten anzupassen, um somit Fehldosierung und Nebenwirkungen zu vermeiden. Bei besonders heftigen Anfällen soll das System von monikit zudem automatisiert eine Person des Vertrauens oder einen Notdienst alarmieren, die dann entsprechende Maßnahmen einleiten kann. Bei der Detektion der Anfälle fokussiert sich das monikit-Vorhaben auf EKG-basierte Parameter. Diese Parameter wurden auch bereits in anderen Veröffentlichungen z. B. die von Jeppesen et al. [7] als vielversprechender Parameter zur Erkennung von Anfällen identifiziert. Der eigens entwickelte Algorithmus des Vorhabens analysierte die EKG-Daten von 50 Patienten (Daten aus der Epilepsie Monitoring-Einheit des Universitätsklinikums Tübingen). Es handelte sich dabei um retrospektive Daten aus Ableitungen in der Nacht, also mit wenigen Störsignalen durch Bewegungen. Insgesamt wurden 130 fokale Anfälle und zehn generalisierte Anfälle im Rahmen der Studie abgeleitet. Auf Basis der identifizierten Parameter und mit Hilfe des Algorithmus konnten insgesamt 75 % aller abgeleiteten Anfälle korrekt detektiert werden. Fazit Das Ergebnis zeigt, dass epileptische Anfälle grundsätzlich über nicht invasive und nicht EEG-basierte Methoden abgeleitet werden können. Ein Großteil der nicht erkannten Anfälle wurde bei einer geringen Anzahl von bestimmten Patienten identifiziert – diese müssen im weiteren Forschungsverlauf noch weiter untersucht werden. Ebenso gilt es die bis dato hohe Falschalarmrate drastisch zu reduzieren, um einen salonfähigen Anfallsdetektor anbieten zu können. Eigenen Umfragen zufolge tolerieren Patienten ca. einen Fehlalarm pro korrekt detektiertem Anfall. Referenzen World Health Organization, WHO (2017): World Health Organization (2017): Epilepsy – Key Facts, online unter www.who.int/mediacentre/factsheets/fs999/en/ eingesehen am 14.10.17. Brandt C.: Epilepsien in Zahlen. In: Informationszentrum Epilepsie (ize) der Dt. Gesellschaft für Epileptologie e.V. 2016, online unter: http://www.izepilepsie.de/home/showdoc,id,387,aid,217.html, eingesehen am 06.03.17. Jallon P. Mortality in patients with epi- lepsy. Curr. Opin. Neurol. 2004; 17: 141–146. Lv R, Wu L, Jin L, Lu Q, Wang M, Qu Y, Liu H. Depression, anxiety and quality of life inparents of children with epilepsy. 2009, online: https://www.researchgate. net/pro le/Qiang_Lu7/publication/24440894_Depression_anxiety_and_quality_of_life_in_parents_of_children_with_epilepsy/links/565bfb7108aeafc2aac6f673.pdf. Meltzer LJ, Moore M.: Sleep Disruptions in Parents of Children and Adolescents with Chronic Illnesses: Prevalence, Causes, and Consequences, J. Pediatr. Psychol. 2007; 33 (3): 279–291. Elger CE, Mormann F.: Seizure prediction and documentation – two important problems. Lancet Neurol. 2013; 12(6): 531−2. Jeppesen J, Beniczky S, Johansen P, Sidenius P, Fuglsang-Frederiksen A.: Detection of epileptic seizures with a modified heart rate variability algorithm based on Lorenz plot. Seizure 2015 (24): 1−7. Bild Copyright: Science Photo Library / Animated Healthcare Ltd. Autor: Kevin Klett kk@monikit.com aus connexi 3-2018 Neurologie, Neurointensivmedizin, Psychiatrie Kongressberichte - DGN und DGPPN 2017, ANIM und AAN 2018 Titelbild Copyright: Alexey Kashpersky (Ukraine), Fotolia® yodiyim Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen