Diagnose und Prognose

Proteomanalyse bei chronischen Nierenerkrankungen von Harald Mischak, Hannover   Chronische Nierenerkrankungen (chronic kidney disease; CKD) schreiten in der Regel über einen langen Zeitraum fort bis zu einem Punkt, an dem der vollständige Verlust der Nierenfunktion, das terminale Nierenversagen, erreicht ist. Während die Erkrankung fortschreitet, tritt ein progressiver Verlust der Nierenfilter (Glomeruli) auf, der nicht rückgängig gemacht werden kann (Abbildung 1). In einem solchen Szenario ist die einzige mögliche Option die frühe Intervention, bevor irreversible Organschäden auftreten. Das Management der CKD würde durch eine frühzeitige Diagnose der oft asymptomatischen verlaufenden Grunderkrankung signifikant verbessert. Es gibt einige Medikamente und andere Interventionsmöglichkeiten, die ihre optimale Wirkung nur dann entfalten können, wenn sie so früh wie möglich eingesetzt werden [1]. Die Herausforderung besteht demnach darin, eine CKD möglichst früh zu erkennen und die ideale therapeutische Intervention vorherzusagen zu können.   Um eine chronische Nierenerkrankung zu erkennen, standen bislang nur zwei Laborwerte zur Verfügung: das Serumkreatinin, bzw. die daraus geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, (eGFR) und die Albuminkonzentration im Urin (Albuminurie). Bei genauerer Betrachtung treten erhebliche Schwächen dieser Messwerte zu Tage. Die Serumkreatininkonzentration gibt die Nierenfunktion nur sehr ungenau wieder. Bei Menschen mit geringerer Muskelmasse wie Frauen, älteren Menschen oder Diabetiker führt der Kreatininwert oft zu einer deutlichen Unterschätzung des Nierenschadens. Bei der Albuminkonzentration im Urin werden große individuelle Schwankungen beobachtet. Bei bis zu 50 % der Diabetiker mit eingeschränkter Filtrationsleistung der Niere ist das Albumin im Urin unauffällig. So bleibt ein großer Teil der Nierenschädigungen unerkannt oder wird unterschätzt. Die Medizin ist auf neue Biomarker angewiesen, die mit hoher Genauigkeit den Krankheitsbeginn idealerweise früh erkennen, den Verlauf prognostizieren und die Wirkung der Medikamente vorhersagen können.     Das Proteom   Da Organe wie die Niere hauptsächlich aus Proteinen aufgebaut sind, werden Erkrankungen vor allem über Veränderungen der Proteinzusammensetzung initiiert und determiniert. Proteine stellen auch die Zielstrukturen für pharmakologische Interventionen dar [2]. Kenntnisse über die krankheitsspezifischen Veränderungen der Proteine ermöglichen daher eine frühzeitige Erkennung von Erkrankungen und eine individuelle Intervention, zu einem Zeitpunkt, an dem noch keine irreversiblen Strukturschäden aufgetreten sind.   Eine diagnostische Methode zur Analyse des Proteoms, der Gesamtheit aller Proteine und Peptide, ist die Kapillarelektrophorese gekoppelte Massenspektrometrie (CE-MS), die sich bereits für die Umsetzung in der klinischen Praxis bewährt hat. CE-MS ist die Proteom-Plattform, die bei Weitem die größte Anzahl vergleichbarer Datensätze geliefert hat, derzeit stehen über 40.000 vergleichbare menschliche Urin-Proteom-Datensätze zur Verfügung [3, 4]. Nach minimalen Probenvorbereitungsschritten (Ultrafiltration zur Entfernung von großen Proteinen, Entsalzung) werden Peptide und kleine Proteine in einem einzigen Schritt getrennt und anschließend identifiziert [5]. Die robuste CE-MS-Technik erlaubt die Analyse von mehreren tausend Peptiden in einem einzigen Ansatz in 60 Minuten und ist somit gut für die Implementierung geeignet.     Relevanz des Urin-Proteoms   Basierend auf den oben erwähnten Grundlagen wurden mehrere Studien durchgeführt, um die Relevanz des Urin-Proteoms im Kontext der CKD zu untersuchen (Abbildung 2). Studien wurden sowohl zur Testgüte also auch zur prognostischen Güte durchgeführt. In der ersten Studie mit 379 gesunden Probanden und 230 Patienten mit verschiedenen Nierenerkrankungen, verwendeten Good et al. [6] CE-MS zur Identifizierung von Peptidbiomarkern. Es wurden 273 Urin-Peptide identifiziert, die signifikant verändert waren zwischen CKD-Patienten und gesunden Kontrollen. Diese 273 Biomarker wurden zu einem Klassifikator kombiniert, der als CKD273 bezeichnet wird. Der CKD273-Klassifikator besteht hauptsächlich aus verschiedenen Kollagenfragmenten und Fragmenten von Blut-Proteinen (Fibrinogen, Apolipoproteinen, Hämoglobin, alpha-1-Antitrypsin etc.). In der gleichen Studie wurde CKD273 in einem unabhängigen Testsatz von 110 Individuen mit CKD und 34 gesunden Individuen mit einer Sensitivität von 85 %, einer Spezifität von 100 % und mit einer Fläche unter der Kurve (AUC) von 0,96 validiert.   Nach der Etablierung des CKD273-Klassifikators wurden Studien durchgeführt, die zum einen die diagnostische Güte des Klassifikators validierten [7, 8] und zum anderen auch die den Wert von CKD273 in der frühen Diagnose bzw. Prognose untersuchten [9–17]. Hierzu zählt die multizentrische Studie von Schanstra et al. [14] mit 1.990 Patienten, von denen bei 522 Patienten Follow-up-Daten zur Verfügung standen. Es konnte gezeigt werden, dass die Vorhersage über das rasche Fortschreiten der Nierenerkrankung (Abnahme der GFR) durch die Proteomanalyse (CKD273) um 30 % signifikant gegenüber der Albuminurie verbessert werden konnte. In einer weiteren Studie von Pontillo et al. [12], die 2.672 Patienten in unterschiedlichen CKD-Stadien umfasst, wurde die prognostische Qualität von CKD273 in der Vorhersage der Progression von CKD mit der Albuminurie verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass CKD273 in den frühen Stadien (eGFR >70 ml/min/1,73 m²) eine signifikant bessere Prognose ermöglicht als alle herkömmlichen Parameter. Des Weiteren wurde anhand der Analyse einzelner Peptide im Urin sichtbar, dass in den frühen CKD-Stadien vorwiegend Änderungen der extrazellulären Matrix, gefolgt von inflam­matorischen Prozessen vorliegen. In einer weiteren Studie von Argiles et al. [9] wurden 53 CKD-Patienten mittels Proteomanalyse untersucht. Die Daten dieser verblindeten Studie zeigten eine signifikante Assoziation von CKD273 mit dem Auftreten von harten Endpunkten (Nierenversagen oder Tod) im Verlauf (3,6 Jahre).   Die Urin-Proteomanalyse kann auch Informationen zur Wahl der Therapie geben. So wurde in der Studie von Lindhardt et al. [18] gezeigt, dass CKD273 verwendet werden kann, um Personen mit Typ-2-Diabetes zu identifizieren, die eher eine albuminsenkende Antwort auf die Spironolacton-Behandlung zeigen.   Die Ergebnisse dieser Studien waren Grundlage für eine multizentrische, randomisierte, klinische Studie (PRIORITY). In dieser laufenden Studie wird untersucht, ob eine frühzeitige Behandlung von Diabetikern ohne erkennbaren Nierenschaden, die CKD273-positiv bezüglich der diabetischen Nephropathie bewertet wurden, mit dem Aldo­steronantagonisten Spironolacton zusätzlich zur Standardtherapie einen Vorteil bringt [19]. Parallel zu den Studien wurde mit den Regulierungsbehörden, der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und der European Medicine Agency (EMA) die Möglichkeit von klinisch validen Surrogatparametern durch CKD273 zur Evaluierung von Wirkstoffen in der Frühphase der chronischen Nierenerkrankung erörtert. Die positiven Daten aus den Studien führten dazu, dass die FDA vor kurzem dem CKD273-Klassifikator bei der Früherkennung der diabetischen Nephropathie und der Vorhersage der CKD-Progression einen letter of support [20] zuerkannte.   Wie in einer kürzlich publizierten Kosten-Nutzen-Analyse gezeigt werden konnte [21], ist ein jährliches Screening von Diabetikern mittels CKD273 kosteneffizient, bei Risikopatienten sogar günstiger als das Albumin-Screening mit verlängerter Lebenserwartung und erheblich verbesserter quality of life.   Es ist zu erwarten, dass im nächsten Schritt die Proteomanalyse massiv in der Medikamentenentwicklung zum Einsatz kommen wird, zumal die derzeit verfügbaren Medikamente in ihrer Funktion sehr ähnlich und nicht spezifisch für CKD sind. Wie Klein et al. kürzlich in einer Studie zeigen konnten, kann mittels Proteomanalyse ein geeignetes Modellsystem zur Entwicklung von Therapeutika generiert werden [22]. Gemeinsam mit der Möglichkeit durch Proteom­analyse von Nierengewebe ideale therapeutische Zielstrukturen zu identifizieren [23], scheint dies der ideale Ansatz gezielt Therapeutika zur Behandlung von Nierenerkrankungen zu entwickeln.     Fazit   Zusammenfassend zeigten die Daten zur Proteomanalyse mittels CKD273 eine Verbesserung der Früherkennung und der Prognose des Verlaufs. Dies ermöglicht eine frühzeitige und gezielte Therapie und damit eine wesentlich verbesserte Option den fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion aufzuhalten. Eine individualisierte Therapieeinstellung könnte durch die Kombination von Diagnostik und Medikamentenwirkung auf der gleichen Ebene der molekularen Strukturen, dem Proteom, vorgenommen werden. Des Weiteren informiert die Proteomanalyse über die molekulare Pathophysiologie der Erkrankung. Die Biomarker zeigen Veränderungen im extrazellulären Matrixumsatz, Fibrose und Entzündung als hauptsächliche Ursachen von CKD. Die Variabilität in einzelnen Biomarkern wird durch die Verwendung mehrerer Peptide in einem Algorithmus korrigiert, der Instabilität und Inkonsistenz von einzelnen Biomarkern toleriert. Basierend auf den heute verfügbaren Ergebnissen ist zu erwarten, dass die Proteomanalyse in Kombination mit Bioinformatik und klinischem Wissen einen signifikanten Einfluss auf das Patientenmanagement erhalten wird und die Anwendung einer personalisierten Therapie initiiert [24].        Referenzen Schievink B, Kröpelin T, Mulder S et al. Early renin-angiotensin system intervention is more beneficial than late intervention in delaying end-stage renal disease in patients with type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab 2016; 18(1): 64–71. Mischak H. Pro: urine proteomics as a liquid kidney biopsy: no more kidney punctures! Nephrol Dial Transplant 2015; 30: 532–7. Stalmach A, Albalat A, Mullen W et al. Recent advances in capillary electrophoresis coupled to mass spectrometry for clinical proteomic applications. 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