DÖAK 2015: WISSENschafftZUKUNFT
pascal lehwark
Ambitionierte Ziele der HIV-Medizin auf dem Weg zur Heilung Interview mit dem Tagungspräsidenten Prof. Dr. Dieter Häussinger, Düsseldorf Vom 24. bis 27. Juni 2015 fand der 7. Deutsch-Österreichische AIDS-Kongress (DÖAK), in diesem Jahr im Congress Center Düsseldorf (CCD) unter der Präsidentschaft von Prof. Dr. Dieter Häussinger vom Universitätsklinikum Düsseldorf, statt. Der mittlerweile größte und wichtigste deutschsprachige Fachkongress für HIV/AIDS bot den Teilnehmern wieder eine Plattform, „zur Vernetzung der Aktivitäten von AIDS-Forschern, Medizinern, Community, Angehörigen sozialer Berufe und Sozialwissenschaftlern im Kampf gegen HIVAIDS“, so Kongressvizepräsident Prof. Dr. Heribert Stoiber, Innsbruck. hatte nach dem Kongress Gelegenheit zu einem Gespräch mit Prof. Häussinger. Wie viele Teilnehmer hatte der diesjährige Kongress und wie viele österreichische Gäste konnten Sie in Düsseldorf begrüßen? Ich freue mich, als Präsident des Kongresses in diesem Jahr über 1.000 Teilnehmer, schätzungsweise 100 davon aus Österreich, hier in Düsseldorf begrüßt haben zu können. Ein wesentlicher Bestandteil zur Prävention von Neuinfektionen könnte die PrEP sein. Sie „funktioniert im Alltag - die Anwendung ist empfohlen“. Gleichzeitig wird mitgeteilt, „kann im Rahmen von off-Label-Use von Ärzten nur auf Privatrezept verschrieben werden“ und die Debatte während des Kongresses war z. T. recht hitzig ... Warum gibt es in Europa noch keine Zulassung und welche Take Home Message zu diesem Thema erhielt das Auditorium des DÖAK 2015? Das Thema PrEP wird aktuell sehr kontrovers diskutiert. Einerseits ist bekannt, dass die Einnahme von HIV-Medikamenten eine Infektion bei Personen, die HIV-negativ sind, aber ein hohes Risiko für eine Infektion haben, ein wirksames Instrument sein kann. Andererseits gibt es viele ungeklärte Aspekte, zum Beispiel das Risiko von Resistenzentwicklung, sodass trotz der PrEP doch eine HIV-Infektion erfolgen kann. Aber auch Nebenwirkungen und natürlich die Kostenfrage sind wichtige Punkte. Weiterhin zu klären ist die Erweiterung der europäischen Zulassung der Wirkstoffe und die evidenzgesicherte Anwendung der Präexpositionsprophylaxe. Dies wurde als Forderung der Deutschen AIDS-Gesellschaft und der Kongressteilnehmer des DÖAK 2015 bereits formuliert. Weitere Anwendungsstudien zur Präexpositionsprophylaxe sollten unbedingt folgen. Gibt es zu den bekannten und etablierten ARTBehandlungskonzepten neue therapeutische Ansätze? Obwohl die aktuellen Therapieoptionen bereits hocheffektiv und gut verträglich sind, auch auf lange Sicht, wird gerade auf dem Gebiet der Grundlagenforschung intensiv an weiteren Therapieansätzen geforscht. Das Verständnis der Immunantwort spielt dabei eine wichtige Rolle, hier könnten neue Erkenntnisse die Impfstoffentwicklung und Therapie revolutionieren. Welche Erkenntnisse sind das und in welchem Stadium befindet sich die Forschung dazu? Bestimmte Immunzellen des Körpers, sogenannte Makrophagen (Fresszellen des Immunsystems) und dendritische Zellen mit der Funktion der Antigenerkennung und Antigenpräsentation als fremdartig erkannter und in Zellen aufgenommener Strukturen, sind grundsätzlich in der Lage, HIV-1 als Eindringling zu erkennen. Diese neue und fundamentale Erkenntnis wurde auf dem Kongress jetzt in Düsseldorf mit HIV-Medizinern, Grundlagenforschern und Betroffenen-Gruppen diskutiert. In mehreren Vorträgen haben drei Forschergruppen ihre neusten Erkenntnisse zur Erkennung von HIV-Nukleinsäuren (RNS, DNS) in Makrophagen und dendritischen Zellen präsentiert: Nach Infektion dieser Zellen mit HIV liegt zuerst virale RNS vor. Bevor diese ins Genom der Wirtszelle integriert werden kann, muss sie jedoch zunächst in DNS umgeschrieben werden. Forscher aus Amsterdam konnten nun nachweisen, dass das RNS-bindende Protein DDX3 als Sensor diese HIV-1 RNS bindet und damit in der Zelle ein antivirales Signal auslöst. Forscher aus San Diego und Langen konnten darüber hinaus für die aus der viralen RNS gebildeten HIV-DNS einen neuen DNSRezeptor (PQBP1) identifizieren. Diese und weitere Arbeiten aus London zeigen, dass unter experimentellen Bedingungen − mit im Labor künstlich veränderten Infektionsbedingungen − HIV-1 von menschlichen Immunzellen erkannt werden kann und eine Signalkette anschaltet, die das angeborene Immunsystem und im weiteren Verlauf das spezifische Immunsystem aktiviert. Nach den auf dem DÖAK präsentierten Ergebnissen findet im HIV-1-infizierten Patienten diese frühe Erkennung durch die dendritischen Zellen und Makrophagen aber nur wenig statt, weil HIV-1 Tricks entwickelt hat, diese spezifische Erkennung zu hemmen. Gelänge es, über die Entwicklung geeigneter Impfstoffe diesen natürlichen Erkennungsmechanismus zu verstärken, könnte eine Impfung möglicherweise eine wirksame körpereigene Abwehr gegen das HI-Virus erzeugen. Natürlich gibt es viele weitere Ansätze, die aktuell Gegenstand intensiver Forschung sind. Beispielsweise könnten die so genannten „breit neutralisierenden Antikörper“, die effektiv die HIVReplikation hemmen, ebenfalls einen potenziellen neuen therapeutischen Ansatz darstellen. Prof. Behrens aus Hannover setzte sich in seinem Festvortrag zur Eröffnung des Kongresses mit dem Thema Heilung auseinander − und zwar unter den Fragestellungen „Wie definieren wir Heilung?“ bis hin zu der provokanten Formulierung „Ist Heilung nötig?“. Steht das im Widerspruch zu Ihrem Kongressmotto? Ganz im Gegenteil, das Kongressmotto drückt mit dem ambitionierten Slogan „Gemeinsam auf dem Weg zur Heilung“ aus, dass nur alle Akteure gemeinsam das langfristige Ziel einer Heilung von HIV erreichen können. Natürlich sollte eine Heilung einer Erkrankung immer das Ziel sein. Neben der Frage, wie wir Heilung von HIV überhaupt definieren, stellt sich aber auch die Frage, welche Risiken wir, in Anbetracht der guten antiretroviralen Therapieoptionen, dafür bereit wären in Kauf zu nehmen. Diese Aspekte, aus gesellschaftlicher wie auch aus wissenschaftlicher Sicht, waren ein wichtiger Teil des DÖAK. Ein weiteres der Hauptthemen waren frauenspezifische Fragestellungen. Warum sind diese gerade jetzt aktuell? Für die Gruppe HIV-infizierter Frauen ergeben sich weltweit spezifische Fragestellungen. Sehr erfolgreich sind die Verbesserungen in der Versorgung HIV-infizierter Schwangerer, besonders in der westlichen Welt. Hingegen zeigen sich unterschiedlich große Defi zite bei den als frauenspezifisch erkannten Problemen. Dazu gehören vor allem die späte Diagnosestellung sowie geschlechts- und hormonspezifi sche Besonderheiten bzgl. des Verlaufes der Infektion, ihrer Therapie und deren Nebenwirkungsprofile. Bei Frauen ist einer der Risikofaktoren für den Behandlungserfolg die späte Diagnosestellung, u.a. auch, weil mögliche Marker-Erkrankungen im ärztlichen Alltag nicht als solche wahrgenommen und getestet werden. Auch die Betreuung der Generation heute jugendlicher HIV-Patientinnen, die durch die Mutter/Kind-Übertragung angesteckt wurden, steckt noch in der Anfangsphase. Der Kongress sollte dazu beitragen, Forschung und Therapie-Leitlinien um diese genderspezifischen Fakten zukünftig weiter zu entwickeln. Welches sind diese Marker-Erkrankungen und wie können niedergelassene Ärzte zur besseren Früherkennung beitragen? Die klinischen Manifestationen der HIV-Infektion sind vielfältig, aber vor allem unerklärter Gewichtsverlust mit wiederholten Infekten, Durchfall und Fieber, Lymphknotenschwellungen, Mundsoor, Herpesinfektionen wie Gürtelrose oder andere venerische Erkrankungen sollten Anlass zu einem HIV-Test geben. Aber auch Blutbildveränderungen, wie beispielsweise Leukopenie und Thrombopenie können ein Hinweis auf eine HIV-Infektion sein. Um für interessierte Ärzte eine gute Grundlage zu vermitteln, fand in diesem Jahr erstmals ein Postgraduate-Kursus statt, in dem die Teilnehmer einen Überblick über die wichtigsten Aspekte der HIV-Medizin erhielten. AIDS als gesellschaftliche Herausforderung: Die viel beachtete und mit großem Beifall bedachte Rede von Frau Professor Rita Süssmuth endete mit dem Satz „Wissen schafft keine Zukunft, wenn Wissen nicht mit Haltung verbunden ist“. Welche Botschaft liegt für Sie in dieser Aussage, und was bedeutet es für den HIV-Behandler in der täglichen Praxis? HIV-Behandler befi nden sich in besonderem Maße in dem Spannungsfeld zwischen moderner forschungs- und evidenzbasierter Medizin und sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Verknüpfung dieser Themen und die gemeinsame Diskussion zusammen mit allen beteiligten Interessensvertretern ist traditionell ein wichtiger Aspekt des DÖAK. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, eben diese Haltung, die Frau Süssmuth umschrieben und eingefordert hat, mitzubringen und auch nach außen zu tragen. Dies ist in Anbetracht der immer noch weit verbreiteten Diskriminierung, auch im Gesundheitssystem, ein sehr wichtiger Aspekt. Vielen Dank, Herr Professor Häussinger, für dieses Gespräch. Im Interview: Prof. Dr. Dieter Häussinger, Düsseldorf Die Fragen stellte Elke Klug. Titelbild: Christoph Erkens aus connexi 6-2015 24. bis 27. Juni 2015 Düsseldorf Deutsch-Österreichischer AIDS-Kongress Konferenzbericht