Besorgniserregender Tiefstand bei Organspende und Transplantation

Keine Trendwende in Sicht   Im internationalen Vergleich hat trotz hoher Qualität der deutschen Transplantationsmedizin die Versorgung der betroffenen Patienten mit Spenderorganen einen historischen Tiefstand erreicht. Bezogen auf je eine Million Einwohner betrug die Rate an transplantierten Patienten im Jahr 2016 in Deutschland 44,4, in Österreich hingegen 87,2, in Frankreich 87,8, in den Niederlanden 90,5 und in Spanien 102,3 [1]. Voraussetzung für eine grundlegende Verbesserung wäre nach Ansicht der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) ein gesamtgesellschaftlicher Konsens über das Ziel, eine Versorgungsqualität auf dem Niveau unserer Nachbarländer zu erreichen.   Nach Angaben der DTG ist der Umbau der für die Organspende und -transplantation zuständigen Zentren, Gremien und Institutionen im Rahmen der derzeit gegebenen Möglichkeiten gut vorangekommen, so dass die Grundlagen für eine gewisse Verbesserung der Situation prinzipiell gegeben wären. Für 2017 konnte jedoch noch keine Trendumkehr der weiterhin rückläufigen Zahlen für Organspende und -transplantation erreicht werden, im Gegenteil. Die DTG befürchtet stattdessen eine Diskussion über einen Rückbau der Transplantationsmedizin in Deutschland. Abhilfe könnte eine breite gesellschaftliche Debatte über die Einführung einer Widerspruchslösung schaffen. Auch wenn die Widerspruchslösung kein „Allheilmittel“ sei, wie DTG-Präsident Prof. Bernhard Banas betont, stehe sie doch für einen Wandel in der Kultur der Organspende und Transplantation. Denn interessanterweise beeinflusse sie auch die Einstellung der Menschen zur Organspende: Während eine Organspende nach dem Tode in Ländern mit Zustimmungslösung (opt-in system) als außergewöhnlich „heroischer“, altruistischer Akt betrachtet wird, ist sie in der Einschätzung der Menschen in Ländern, die seit langem eine Widerspruchslösung (opt-out system) haben, viel „selbstverständlicher“ [3].     Tabu Widerspruchslösung   Spanien, Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg oder Österreich haben sie längst, Frankreich hat sie 2017 eingeführt. Nach der aktuellen Einführung der Widerspruchslösung auch in den Niederlanden sprechen sich die DTG und die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) nun für die Einführung dieser Lösung auch in Deutschland aus. „Die Niederländer haben reagiert, und zwar lange bevor die Situation so prekär wurde wie bei uns. Ich wünsche mir ähnlich mutige Politiker im Bundestag wie in Holland“, erklärt Prof. Dr. Christian Hugo, Generalsekretär der DTG.   Das häufige Argument gegen die Widerspruchslösung, dass dadurch eine Bevormundung der Gesellschaft vorgenommen werde, lassen DTG und DGfN nicht gelten: „Bevormundung ist, wenn jemand anders eine Entscheidung für einen trifft. Die Widerspruchslösung lässt aber jedem Bürger seine volle Entscheidungsfreiheit. Letztlich sollte uns auch die Tatsache, dass gerade viele als besonders liberal geltende Länder wie Schweden, Frankreich, Belgien oder jetzt die Niederlande die Widerspruchslösung bereits eingeführt haben, Sicherheit dahingehend geben, dass damit keinesfalls demokratische und menschenrechtliche Grundsätze verletzt werden“, so Prof. Hugo.   Allerdings müsse die Einführung der Widerspruchslösung von einem umfassenden Maßnahmenpaket begleitet werden, nur dann könne sie auch den gewünschten Erfolg haben: „Wir haben in Deutschland zahlreiche Probleme, die zu den schlechten Transplantationszahlen führen und die wir in ihrer Gesamtheit angehen müssen.“, erklärt Prof. Banas. Konkret benennt er Defizite bei der Erkennung von potenziellen Organspendern, bundesweit uneinheitliche Regelungen für Transplantationsbeauftragte und die im internationalen Vergleich nur limitierten Möglichkeiten der Transplantationsmedizin. „Es braucht Veränderungen auf allen Ebenen – und dies muss auch ein Nachdenken über ein 20 Jahre altes Transplantationsgesetz einschließen.“     Organallokation – Was ist gerecht?   Bis sich die Gesetzeslage ändert, was derzeit nicht absehbar ist, steht die Transplantationsmedizin nun vor dem Dilemma, die wenigen zur Verfügung stehenden Organe nach den Vorgaben des Transplantationsgesetzes möglichst gerecht zu verteilen. Prof. Dr. Christian Strassburg, Präsident der 26. Jahrestagung DTG in Bonn, erklärte dazu: „Wir brauchen eine Organallokation, die vor dem Hintergrund des eklatanten Mangels an Spenderorganen als gerecht empfunden wird und medizinisch vertretbar ist“. Notwendig sei dabei auch eine stärkere Beachtung der Erfolgsaussicht einer Transplantation, der Entwicklung ihrer transparenten Bewertung, was auch die Faktoren Alter und Gebrechlichkeit (frailty) von Kandidaten umfasse. Das gelte insbesondere für die Lebertransplantation, die aktuell mit dem System des MELD-Scores (model of end stage liver disease) – bis auf wenige Ausnahmen – nahezu ausschließlich auf die Dringlichkeit einer Transplantation als Entscheidungskriterium setzt.   Ein weiterer Faktor für die Allokationsgerechtigkeit sei auch eine hohe und von Standort zu Standort vergleichbare Qualität der Transplantationsmedizin. Dabei müssen strukturelle Eingriffe, wie die Mindestmengenregelung, kritisch diskutiert und bewertet werden, soll es dadurch nicht zu Qualitätseinbußen, vor allem im Bereich Qualifikation, Berufschancen und Nachwuchs, sowie zu falschen Anreizen für die Zentren kommen.     Redaktion: Rüdiger Zart     Referenzen https://www.dso.de/ Eurotransplant. Statistics Report Library. Online unter http://statistics.eurotransplant.org/reportloader.php?report=49044-6113&format=html&download=0 [Letzter Zugriff 05.03.18]. Davidai S et al. Proc Natl Acad Sci U S A. 2012; 109(38): 15201–5.   Quellen: Presseerklärung März 2018 DTG und DGfN, Pressekonferenz DTG-Kongress 2017 am 26.10.17 in Bonn.               aus connexi  1-2018 Nephrologie, Hypertensiologie, Dialyse, Transplantation DGfN in Mannheim, DTG in Bonn, ESOT in Barcelona Kongressberichte       Titelbild Copyright Shutterstock® Palau Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen            
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