Aus den Laboren zu den Patienten
pascal lehwark
Dynamische Entwicklung in der Hämatologie und Onkologie Zurzeit vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein neues vielversprechendes Medikament zur Behandlung von Blut- oder Krebserkrankungen zugelassen wird. In der Hämatologie und Onkologie findet derzeit ein wahrer Innovationsboom statt. Über die Chancen einer solchen Entwicklung, die ersten erstaunlichen Erfolgsgeschichten, aber auch über die Risiken und Herausforderungen, welche die vielfältigen neuen Ansätze in der Therapie und Diagnostik von Blut- und Krebserkrankungen mit sich bringen, diskutieren vom 9. bis zum 13. Oktober 2015 5.000 nationale und internationale Experten auf der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie in Basel. Die Jahrestagung unter der Leitung des Kongresspräsidenten Dr. Martin Wernli, Kantonsspital Aarau, stand unter dem Motto „Aus den Laboren zu unseren Patienten“. Die vielen namhaften nationalen und internationalen Referenten und mehr als 650 eingereichte wissenschaftliche Beiträge zeigten die große Bandbreite des Faches auf und unterstrichen die Bedeutung der Jahrestagung als traditionell wichtigstes Forum des wissenschaftlichen Diskurses und der klinischen Fortbildung auf dem Gebiet der Hämatologie und Onkologie im deutschsprachigen Raum. Zahl der Krebsfälle steigt weltweit an Bis zum Jahr 2025 wird laut einer Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der Krebsneuerkrankungen von weltweit derzeit ca. 14 Millionen auf ca. 22 Millionen Fälle jährlich ansteigen. Gleichzeitig wird die Zahl der krebsbedingten Todesfälle von 8,2 Millionen weltweit in 2012 auf 13 Millionen zunehmen. Ursächlich für diese Entwicklung ist der WHO zufolge einerseits die durchaus erfreuliche global zunehmende Lebenserwartung, andererseits aber auch Bevölkerungswachstum und ein ungesunder westlicher Lebensstil, mit ungesunden Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, den immer mehr Menschen aus den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern übernehmen. Falsche Ernährung und Übergewicht haben Hunger und Mangelernährung bei den weltweit häufigsten vermeidbaren Ursachen für Krankheit und vorzeitigen Tod abgelöst. Die Folgen sind in vielen Ländern nicht mehr zu übersehen. Laut WHO waren 2014 mehr als 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig, davon 600 Millionen sogar fettleibig. Fachgesellschaften wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) sehen demnach auch die bisherige Strategie der Gesundheitspolitik, der individuellen Verhaltensprävention Vorrang einzuräumen, als gescheitert an und fordern, ähnlich wie die WHO, den Paradigmenwechsel zur Verhältnisprävention, um gesundheitsbewusstes Verhalten zu erleichtern. Dazu gehöre laut DDG eine einfache Lebensmittelkennzeichnung nach dem Ampelprinzip, Anreize und Preissignale durch eine Zucker-Fett-Steuer und jeden Tag eine Stunde Sport in Kita und Schule. Ob die Gesellschaft diesen pädagogischen Präventionsgedanken gutheißen, mittragen und über die Gesundheitspolitik auch umsetzen wird, ist derzeit allerdings noch vollkommen offen. Bei guter Lebensqualität deutlich länger überleben Doch es gibt auch sehr gute Nachrichten. Die Chancen eine Krebserkrankung bei guter Lebensqualität deutlich länger zu überleben als in früheren Jahren sind spürbar gestiegen. Zwar kann noch nicht jeder Krebserkrankte geheilt werden, aber schon etwas mehr als die Hälfte aller Patienten darf sich berechtigte Hoffnungen machen und auf dauerhafte Heilung rechnen. „Was wir derzeit erleben, ist eine dramatische Zunahme von Wissen, beispielsweise bei der Entwicklung von monoklonalen Antikörpern oder immuntherapeutischen Substanzen. Dabei werden die uns zur Verfügung stehenden Wirkstoffe in ihrer Wirksamkeit immer spezifischer“, so Prof. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender bis Dezember 2015 der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO). Nicht zuletzt dank dieser neuen immuntherapeutischen Therapieformen haben sich immer mehr Tumorerkrankungen von akut lebensbedrohlichen Krankheitsbildern mit schlechter Prognose zu therapierbaren chronischen Erkrankungen entwickelt, die bei relativ guter Lebensqualität lange überlebt werden können. Bei nahezu allen Krebsarten steigen in den westlichen Industriestaaten die Überlebensraten an. Patienten leben nach ihrer Krebsdiagnose etwa sechsmal länger als noch vor ungefähr 40 Jahren. Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes erreichte 2013 das durchschnittliche Sterbealter Krebserkrankter mit 73,4 Jahren den höchsten jemals gemessenen Wert in Deutschland. Der Anteil Gestorbener mit Krebs, die 85 Jahre und älter waren, lag im Jahr 2013 bei 17 %. Im Jahr 1983 hatte der Anteil lediglich etwa 8 % betragen. Krebs wird damit zunehmend eine Erkrankung des fortgeschrittenen Alters. Grundlegender Wandel in der Krebsmedizin Die Behandlung vieler Krebserkrankungen erfährt zurzeit einen grundlegenden Wandel. Immuntherapie, individualisierte Strategien und zielgerichtete Medikamente stellen eine enorme Bereicherung für die Therapie vieler hämatologischen und onkologischen Erkrankungen dar. Die neuen Therapieformen zeigen aber auch auf, dass das ursprünglich einmal formulierte Ziel der onkologischen Medizin, nämlich die komplette Auslöschung aller Tumorzellen, nicht mehr in jedem Fall angestrebt werden sollte und auch nicht in jedem Fall erreichbar sein wird. Aus einem „Krieg gegen die letzte Krebszelle“, der häufig mit erheblichen Kollateralschäden geführt wurde, wird eine auf das individuelle Patientenwohl ausgerichtete Krebsmedizin, die ihr primäres Therapieziel nicht mehr allein in der Tumoreradikation sieht, sondern in der Tumorkontrolle durch das Immunsystem. Ausblick – Wissenstransfer und Patientensicherheit Vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität in der Krebstherapie ist das generierte Wissen zwar von zentraler Bedeutung, bringt aber gleichsam neue Herausforderungen hervor, ergänzte Prof. Diana Lüftner, Vorsitzende der DGHO bis Dezember 2015. „Unsere Patienten warten auf neue wirksamere Medikamente. Zunächst müssen wir die praktischen Anwendungsmöglichkeiten der neu verfügbaren Substanzen aber prüfen und ihre Sicherheit gewährleisten, um dann zeitnah Therapieschemata zu entwickeln. Wir haben also viel vor in den kommenden Monaten und Jahren.“ Quelle: PK zur Jahrestagung 2015 der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie am 10.10.2015 in Basel. Bericht: Rüdiger Zart, Berlin ruediger.zart@thepaideiagroup.com Copyright: Shutterstock® lightspring und speedy. aus connexi 1-2016 Oktober bis Dezember 2015 DGHO 2015 in Basel, ASH 2015 in Florida Konferenzberichte