THC und CBD
Anja Lamprecht
THC und CBDNeue Gesetze und Optionen – Neue und alte Probleme?von Stephan Walcher, München Seit 10.03.2017 sind in Deutschland THC- und/oder CBD-haltige Präparate (Blüten oder Fertigarzneimittel) arzneimittelrechtlich zugelassen. Eine Wirksamkeit von Cannabis ist bei Erkrankungen aus nahezu allen Bereichen der Medizin beschrieben. Es gibt viele mögliche Indikationen, der Evidenzgrad ist noch gering. Die offizielle Zulassung eröffnet neue Möglichkeiten in der Behandlung, fordert aber auch die Erhebung wenigstens eines Minimaldatensatzes (BfArM) dazu. Soll die Behandlung zulasten der GKV erfolgen, ist allerdings ein Antrag zu stellen, der Indikation, wissenschaftliche Evidenz und detaillierte Beschreibung des Einzelfalles beinhalt. „Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis gilt nur, wenneine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Patienten nicht angewendet werden kann, undeine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“ Zur Beantwortung eines Antrages bleibt den Kassen eine Frist von drei (fünf mit Gutachter) Wochen, bei palliativmedizinischen Fällen von drei Werktagen. Umfragen unter den Verschreibern zeigen jedoch, dass – außer in bisher schon indizierten Fällen wie Tourette, MS oder onkologischen Schmerzen – nur selten eine primär positive Kostenübernahme erfolgt. Trotzdem wurden 59.000 Verordnungen in 1/2019 ausgestellt, davon 23.000 für Cannabisblüten, 22.000 für Rezepturarzneimittel und 12.000 für pharmazeutische Fertigprodukte (Sativex, Canemes).Tabelle 1: Typische Verordnungsindikationen Eines der anfänglichen Probleme der Cannabinoidverschreibung war die mangelhafte Verfügbarkeit von entsprechenden Naturprodukten (neben den weiterhin verfügbaren Fertigarzneien THC-CBD/Sativex, Dronabinol, Nabilon/Canemes und CBD-Ölen), da eine eigene Herstellung in Deutschland noch nicht vollständig zugelassen ist und die hohe Nachfrage aus holländischen, kanadischen und israelischen Importen nur unvollständig bedient werden konnte. Die Lage scheint sich aber zwischenzeitlich zu entspannen. Ein Problem bleibt der Preis. Zum einen ist er wohl die Hauptursache für die restriktive Haltung der Krankenkassen, zum anderen stellt er ein Problem für die Kostenträgerschaft durch die Patienten selbst dar, auch, weil er deutlich über Schwarzmarktniveau liegt.Patienten bevorzugen Sativa (und Indica)-Sorten mit hohem THC- und eher niedrigem CBD-Gehalt, was in Anbetracht zahlreicher positiver Effekte des THC-Modulators CBD schwer nachvollziehbar erscheint. Komplexe Wirkmuster – schwache Evidenz Indikationen gibt es viele. Neben den „Klassikern“ aus der Onkologie (Schmerz, Übelkeit bei Chemotherapie, Anorexie) und Neurologie (Spastik, bes. CBD bei kindlicher Epilepsie) ist eine Wirksamkeit bei Erkrankungen aus nahezu allen Bereichen der Medizin beschrieben. Die Evidenzlage ist dabei eher dünn, wie unter anderen die umfangreichen Zusammenstellungen von Penny Whiting (2015) und Eva Hoch (2018) zeigten. Da sich aber die meisten Arbeiten um Evidenz einzelner, isolierter Untersuchungsparameter (wie „Nozizeptiver Schmerz“) bemühen, sind die komplexen Wirkmuster von Delta-9-THC oder CBD allein schon kaum noch abzubilden. THC und CBD wirken ja auf eine breite Palette an Rezeptoren (neben CB1 und CB2 auch eine Vielzahl an weiteren Neurotransmitter/-modulator-Rezeptoren mit zahlreichen Wechselwirkungen mit z. B. dem Adrenocorticoiden-System). Und wenn dann noch über hundert Alkaloide aus der Cannabinoidfamilie mit weiteren wirkaktiven Terpenen etc. kombiniert werden (wie in einem Naturprodukt üblich), dann ist eine genaue Wirkzuordnung kaum mehr darstellbar. Die seit mehr als 3.000 Jahren beschriebene Heilkraft kommt eher aus einer multifaktoriellen Gesamt- als definierter, signifikanter Einzelwirkung. Die z. B. wohltuende Wirkung bei Tumorpatienten beruht denn auch nicht auf hochsignifikant besserer Analgesie oder Antiemese, sondern einer Kombination aus Schmerzreduktion, Schlafmodulation, antidepressiver Wirkung, Senkung des Muskeltonus, Beruhigung, Appetitanregung und ähnlichen Effekten, die in ihrer Gesamtheit einen eindrucksvollen Effekt auf die Homöostase bewirken. Applikationsformen und Nebenwirkungen Die Anwendungsarten und Zubereitungen unterscheiden sich recht deutlich. Rauchen (klassischer Joint, Pfeife) wirkt sehr schnell, aber nur 15–25 % werden überhaupt eingeatmet und resorbiert, bis zu 30 % verbrennen, der Rest geht in die Raumluft verloren. Sublingual (Kaugummi, Spray) werden bis zu 60 % resorbiert, enteral wegen des First-Pass-Effektes (Cookies) max. 12 % (mit Fett bis 20 %), rektal 13–68 %. Am besten funktionieren spezielle (und verordnungsfähige) Verdampfer, hier wird nur punktuell erhitzt, damit erreichen bis zu 90 % den Kreislauf. Nebenwirkungen sind recht zahlreich beschrieben, neben der Auslösung von Psychosen, Ich-Störungen, Suizidgedanken, bipolaren Störungen und Halluzinationen sind das Nausea, Schwindel, Diarrhoe, Schwäche, Desorientierung, trockene Schleimhäute, Euphorie und soziales Desinteresse. Ebenso sind geringer beruflicher Erfolg, Bildungsniveau, Erwerbslosigkeit, Familienkonflikte, reduzierte Lernfähigkeit und Vigilanz mit THC verbunden. Ausblick Mit der weltweit verbesserten Verschreibungsmöglichkeit von Cannabisprodukten wird hoffentlich auch der Evidenzgrad für den Einsatz bei unterschiedlichen Erkrankungen steigen. Eine weitere Hoffnung besteht darin, dass wir im Stande sein werden, mit veränderten (breiteren) Messmethoden auch komplexe Wirkmechanismen bei Schmerz, Spastik, Übelkeit, Angststörungen und weitere Erkrankungen wie ADHS und PTBS aufklären zu können. 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