Thrombozytäres Lipidom und KHK

Bedeutung für Entstehung und Progressvon Dominik Rath und Meinrad Gawaz, Tübingen  Bereits seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Hyperlipidämie einen der bedeutendsten Risikofaktoren für Entstehung und Progress der koronaren Herzerkrankung (KHK) darstellt. Die aktuellen Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) empfehlen eine Therapie mit Statinen bei allen KHK-Patienten, sofern keine Kontraindikationen vorliegen [1]. Der Progress der KHK scheint wesentlich davon abhängig zu sein, wie lange die Hyperlipidämie schon besteht und wie ausgeprägt diese ist [2].  Im Verlauf des Lebens sind die Arterien atherosklerotischen Veränderungen unterworfen, welche auch die Ausbildung lipidreicher Plaques beinhalten. Die Plaques wachsen in der Regel kontinuierlich und führen allmählich zu einer Gefäßverengung und somit am Herzen zur KHK. Besonderes Augenmerk liegt auf der „vulnerablen“ Plaque, welche oft kaum stenosierend wirkt, jedoch auf Grund der Rupturgefahr häufig zum akuten Myokardinfarkt sowie zum plötzlichen Herztod führt. Diese Plaques weisen charakteristischerweise eine dünne fibröse Kappe (<65 µm), verstärkte Makrophagenaktivität sowie einen lipidreichen Kern auf. Zu den zellulären Mechanismen, welche die Plaquevulnerabilität begünstigen, gehören eine verminderte Kollagensynthese, eine vermehrte Kollagenaseexpression und eine erhöhte Apoptoseaktivität der glatten Gefäßmuskelzellen. Rupturiert eine vulnerable Plaque, ist die Freisetzung/-legung prokoagulatorischer Faktoren in Zusammenspiel mit der Thrombozytenaktivierung und einer konsekutiven Thrombusbildung der entscheidende Mechanismus, welcher zum Myokardinfarkt führt [3]. Thrombo­zyten spielen für die Thrombose und Hämostase eine wesentliche Rolle und sind bei der Patho­genese verschiedener Erkrankungen wie der KHK oder dem Schlaganfall maßgeblich beteiligt.  Paradigmenwechsel in der Thrombozytenforschung In den letzten Jahren fand ein Paradigmenwechsel in der Thrombozytenforschung statt. Neben Thrombose und Hämostase wurde ein zunehmender Einfluss auf Wundheilung, immunologische Prozesse und Inflammation, Infektabwehr, Angiogenese, Tumorgenese/Metastasierung und auf Reparatur-/Regenerations-Vorgänge im Organismus nachgewiesen. Thrombozyten akkumulieren am Ort von Gefäß- und Gewebeläsionen und interagieren mit einer Vielzahl von umgebenden Zielzellen wie zum Beispiel Monozyten, Lymphozyten oder Endothelzellen. Durch direkte Interaktionen mit Zielzellen über spezifische Adhäsionsrezeptoren wie zum Beispiel Integrine, Selektine oder immunoglobulinähnliche Rezeptoren und durch Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie zum Beispiel Wachstumsfaktoren und Chemokinen beeinflussen Thrombozyten wesentliche Zellfunktionen in ihrer unmittelbaren Umgebung (Micro­environment). Als Konsequenz bündeln Thrombozyten am Ort der Gewebe-/Gefäßverletzung zelluläre und humorale Faktoren, steuern wesentliche Aspekte der Zellfunktion wie Chemotaxis, Migration, Apoptose/Survival, Differenzierung und Wachstum und regulieren dadurch Umbau- und Reparaturvorgänge und letztendlich Organfunktion. Thrombozyten bilden durch Interaktionen mit zellulären/humoralen Faktoren somit eine zentrale (patho-)physiologische Schaltstelle (Thrombozytosom) bei einer Vielzahl von Erkrankungen [4].  Thrombozytäres Lipidom Ein relativ neues Forschungsfeld beschäftigt sich mit den in Thrombozyten enthaltenen Lipiden (thrombozytäres Lipidom) sowie deren Teilnahme am Lipidstoffwechsel. Es ist davon auszugehen, dass die Zusammensetzung des thrombozytären Lipidoms den Progress der KHK und auch die Entstehung vulnerabler Plaques begünstigt. Es ist bekannt, dass eine hyperlipidämische Stoffwechsellage Thrombozytenaktivierung sowie Thrombose fördert [5–7]. Low-density Lipoprotein (LDL)/oxidiertes LDL (oxLDL) führt zu einer vermehrten thrombozytären Thrombinausschüttung und einer verstärkten Plättchenaktivierung. Folglich induziert LDL/oxLDL die Thrombusformation sowohl ex als auch in vivo. Aktivierte Thrombozyten nehmen oxLDL auf. Sind Thrombozyten mit oxLDL beladen, wirken sie aktivierend auf das Endothel und vermindern die endotheliale Regeneration. Des Weiteren induzieren sie vermehrte Schaumzellbildung. Daher trägt thrombozytäres oxLDL zu Inflammationsprozessen in Gefäßen bei und fördert den Fortschritt der Atherosklerose [8]. Des Weiteren kann oxLDL das thrombozytäre Chemokinprofil beeinflussen. Die CXCL12/CXCR4/CXCR7-Achse scheint in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu spielen. C-X-C motif chemokine 12 (CXCL12) wird von Thrombozyten bei KHK-Patienten verstärkt exprimiert. Die thrombozytären CXCL12-Konzentrationen sind beim akuten Koronarsyndrom (ACS) im Vergleich zur stabilen KHK nochmals deutlich erhöht [9]. Die CXCL12-Rezeptoren CXCR4 sowie CXCR7 sind dynamischen Regulationsvorgängen unterworfen. Bindet CXCL12 an CXCR4 auf Thrombozyten, so werden, vereinfacht gesagt, der CXCL12/CXCR4-Komplex internalisiert und CXCR7 an die Thrombozytenoberfläche externalisiert [10]. Thrombozytäres CXCL12/CXCR4/CXCR7 korreliert auf unterschiedliche Weise mit thrombozytärem oxLDL. CXCL12-Stimulation führt zu einer vermehrten thrombozytärer LDL/oxLDL-Aufnahme, während eine CXCR4/CXCR7-Blockade selbiges vermindert. Außerdem können lipidbeladene Thrombozyten die Schaumzellbildung über CXCL12 fördern [11, 12]. Ein Modell zur Entstehung des Myokardinfarktes könnte somit, beruhend auf gängigen Modellen, folgendermaßen aussehen: LDL/oxLDL wird von aktivierten Thrombozyten aufgenommen. Diese Thrombozyten haften an geschädigtem Endothel an. Über Sekretion von CXCL12 werden Monozyten zum Areal der Endothelschädigung rekrutiert. Apoptotische Thrombozyten werden von Mono­zyten phagozytiert. Monozyten wandern, nach Phagozytose von lipidbeladenen Thrombozyten, in die Gefäßwand ein. Aus Monozyten entstehen Makrophagen. CXCL12 fördert wiederum die Bildung von Schaumzellen. Somit entsteht eine atherosklerotische Plaque, welche im Verlauf an Größe zunimmt, sich wie oben beschrieben gegebenenfalls zu einer vulnerablen Plaque entwickelt, rupturiert und als direkte Folge zu einem Myokardinfarkt führt. Im Thrombozyten sind zahlreiche Lipide vorhanden, welche wiederum unterschiedliche Konzentrationen bei Gesunden, Patienten mit stabiler KHK sowie Infarktpatienten aufweisen. Zahlreiche thrombozytäre Lipide werden bei Patienten mit symptomatischer KHK im Vergleich zu Gesunden verstärkt exprimiert. Thrombo­zyten generieren bevorzugt oxidierte Phospholipide sowie Phospholipaseprodukte. Vereinfacht ausgedrückt ist die Konzentration dieser Lipide bei ACS-Patienten am höchsten, gefolgt von denjenigen mit stabiler KHK. Bei Gesunden sind die Konzentrationen in der Regel am niedrigsten [3]. Zumindest im Mausmodell stellen Phospholipide die größte Fraktion der thrombozytären Lipide dar. Das thrombozytäre Lipidom, und hier vor allem die Sphingolipide, werden über Thrombozytenaktivierung dynamisch reguliert, weshalb diese einen entscheidenden Einfluss auf die thrombozytäre Lipidzusammensetzung und folglich Progress der KHK haben könnte [14].  Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Thrombozyten eine Schlüsselrolle im Lipidstoffwechsel spielen. Somit scheint die Interaktion von Lipiden, Thrombozyten sowie Inflammation für den Progress der KHK ein entscheidender Faktor zu sein.    ReferenzenCatapano AL, Graham I, De Backer G et al. ESC Scientific Document Group. ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias. Eur Heart J 2016;37:2999–3058.Navar-Boggan AM, Peterson ED, D‘Agostino RB Sr et al. Hyperlipidemia in early adulthood increases long-term risk of coronary heart disease. Circulation 2015;131:451–458.MacNeill BD, Lowe HC, Takano M et al. Intravascular modalities for detection of vulnerable plaque: current status. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2003;23:1333–1342.Tuebingen Platelet lnvestigative Consortium (TuePic). Thrombozyten – Molekulare Mechanismen und translationale Bedeutung. Antrag auf Finanzierung der Zweiten Förderperiode der Klinischen Forschergruppe 274. 2014: 7–19.Siegel-Axel D, Daub K, Seizer P et al. Platelet lipoprotein interplay: trigger of foam cell formation and driver of atherosclerosis. Cardiovasc Res 2008;78:8–17.Akkerman JW. From low-density lipoprotein to platelet activation. Int J Biochem Cell Biol 2008;40:2374–2378.Podrez EA, Byzova TV, Febbraio M et al. Platelet CD36 links hyperlipidemia, oxidant stress and a prothrombotic phenotype. Nat Med 2007;13:1086–1095.Daub K, Seizer P, Stellos K et al. LDL-activated platelets induce vascular inflammation. Semin Thromb Hemost 2010;36:146–156.Stellos K, Langer H, Daub K et al. Platelet-derived stromal cell-derived factor-1 regulates adhesion and promotes differentiation of human CD34+ cells to endothelial progenitor cells. Circulation 2008;117:206–215.Chatterjee M, Seizer P, Borst O et al. SDF-1 induces differential trafficking of CXCR4-CXCR7 involving cyclophilin A, CXCR7 ubiquitination and promotes platelet survival. FASEB J 2014;28:2864–2878.Daub K, Langer H, Seizer P et al. Platelets induce differentiation of human CD34+ progenitor cells into foam cells and endothelial cells. FASEB J 2006;20:2559–2561.Chatterjee M, von Ungern-Sternberg SN, Seizer P et al. Platelet-derived CXCL12 regulates monocyte function, survival, differentiation into macrophages and foam cells through differential involvement of CXCR4-CXCR7. Cell Death Dis 2015;6:e1989.Chatterjee M, Rath D, Schlotterbeck J et al. Regulation of oxidized platelet lipidome: implications for coronary artery disease. Eur Heart J 2017;38:1993–2005.Peng B, Geue S, Coman C et al. Identification of key lipids critical for platelet activation by comprehensive analysis of the platelet lipidome. Blood 2018;132:e1–e12.   Bild Copyright: Brain light / Alamy Stock Foto      Autoren:           Prof. Dr. med. Meinrad Gawazmeinrad.gawaz@med.uni-tuebingen.de             Dr. med. Dominik Rathdominik.rath@med.uni-tuebingen.de               aus connexi  5-2019 KARDIOLOGIE, HERZCHIRURGIEDGK Jahrestagung 2019Kongressberichte       Titelbild Copyright: Science Photo Library / Thomas Deerinck / NCMIR. Gestaltung: Jens Vogelsang      
Neueste Artikel

 

Kontaktieren Sie uns

 

 

 

Folgen Sie uns