Thrombotische Mikroangiopathien

Initiale Evaluation eines Patienten mit TMAvon Bernd Schröppel, Ulm   Dieser Artikel beschreibt die Evaluation von Patienten mit mikroangiopathischer hämolytischer Anämie (MAHA) und Thrombozytopenie bei unklarer Ätiologie, mit dem Ziel die primären Syndrome rasch von anderen sich ähnlich präsentierenden systemischen Erkrankungen zu unterscheiden (Tabelle 1).             Thrombotische Mikroangiopathie (TMA) beschreibt eine Gruppe von Erkrankungen, die sich durch eine nicht immune hämolytische Anämie, Thrombozytope­nie und ischämische Organschädigung präsentieren. Nicht alle MAHA entstehen durch eine TMA, aber fast alle TMA verursachen eine MAHA mit Thrombozytope­nie [1]. Eine systemische TMA führt durch ätiologische heterogene Erkrankungen über einen Endothelzellschaden zu Thromben und Entzündung in den kleinen Blutgefäßen. Diese pathologischen Prozesse können alle lebenswichtigen Organe betreffen, am häufigsten jedoch die Nieren, das zentrale Ner­vensystem und den Gastrointestinaltrakt (Abbildung 1) [2].             Abbildung 1: Differenzialdiagnose thrombotischer Mikroangiopathien (TMA) (modifiziert nach [9]). Zu den primären TMA-Syndromen zählen im Wesentlichen die thrombotisch thrombopenische Purpura (TTP), das shigatoxinverursachte hämolytische urämische Syndrom (STEC-HUS) und die komplementvermittelte TMA, das sogenannte atypische HUS (Tabelle 1). Der Begriff „aHUS“ wurde historisch bei einem hämolytischen urämischen Syndrom ohne assoziierte Diarrhö verwendet und beschreibt heute eine komplementvermittelte TMA. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) hat kürzlich eine Klassifikation der TMA vorgestellt, die auf den Triggerfaktoren basiert und die zugrundeliegende Ursache benennt [3]. Das primäre aHUS wird durch eine Störung im Komplementsystem (durch Mutationen oder Antikörper) verursacht [4]. Diese Patienten benötigen häufig einen oder häufiger mehrere komplementverstärkende Trigger für die klinische TMA-Manifestation [5, 6] (Tabelle 1). „Starke“ TMA-Trigger können auch ohne identifizierbares genetisches Risiko (sekundäre TMA) zu einem HUS führen.Die thrombotische Mikroangiopathie ist eine auf die Gesamtpopulation gesehen seltene Erkrankung. Ergebnisse einer in Deutschland durchgeführten prospektiven Erhebung an 22 Zentren mit 232 Patienten zeigten, dass das aHUS mit einer relativen Inzidenz von 61 % die häufigste TMA darstellte, während TTP und STEC-HUS in 13 % und 6 % der Patienten diagnostiziert wurden [6].  Wie wird die Diagnose gestellt? Aufgrund des oft akuten und dramatischen Krankheitsbeginns hilft für eine schnelle Diagnose ein striktes diagnostisches Schema [3]. Die klinische Diagnose von aHUS wird durch den Ausschluss anderer TMA gestützt. Klinische Zeichen und Symptome können jedoch nicht zuverlässig die zugrundeliegende Ursache der TMA bestimmen [6]. Das Vorliegen einer Diarrhö erlaubt keine sichere Diskriminierung zwischen aHUS and STEC-HUS, da bei 30 % der Patienten mit aHUS eine Diarrhö oder Gastroenteritis vorliegt und sich 5 % der STEC-HUS Fälle ohne Diarrhö präsentieren [7].  Eine schwere Hypertonie kann mit einer TMA assoziiert sein. Die Unterscheidung zwischen primärer TMA mit daraus resultierender Hypertonie und maligner Hypertonie mit nachfolgender sekundärer TMA ist oft schwierig [8]. Bei Letzterem wird sich bei den meisten Patienten die Nierenfunktion und MAHA nach Blutdrucktherapie rasch bessern [2].  Laboruntersuchungen: Die initiale Basisdiagnos­tik ist in Tabelle 2 aufgeführt. Eine detaillierte Anamnese und körperliche Untersuchung erlauben zusätzliche gezielte Laboruntersuchungen.              Eine MAHA manifestiert sich durch Anämie, Retikulozytose, LDH-Erhöhung und Schistozyten. Es gibt keinen unteren Grenzwert des Schistozyten­anteils anhand dessen eine TMA ausgeschlossen werden kann, ein Anteil von über 1 % spricht bei entsprechender Klinik für eine TMA [9]. Nach der Diagnose einer TMA, liegt der Fokus darauf, die zugrundeliegenden Ursachen zu finden. Eine Reihe systemischer Erkrankungen (z. B. Infektions-, Autoimmun- und Tumorerkrankungen) können eine MAHA/Thrombozytopenie verursachen und müssen von einer primären TMA unterschieden werden (Tabelle 1).  Eine Untersuchung auf STEC-HUS sollte unabhängig von gastrointestinalen Symptomen bei allen Patienten mit aHUS erfolgen. Ein dringlicher und kritischer Test ist die Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität, vor der Gabe von Plasma oder Bluttransfusionen, um eine TTP nachzuweisen (ADAMTS13-Aktivität <5–10 %) [9, 10] (Abbildung 1).  Da es spezifische Therapieoptionen (Plasmapherese und Caplacizumab) gibt, bedarf die lebensbedrohliche TTP einer dringlichen Diagnosestellung. Aufgrund der oft langen Zeit bis zum Erhalt der Ergebnisse der ADAMTS13-Aktivität wurden Modelle entwickelt, die einen schweren ADAMTS13-Mangel (≤10 %) vorhersagen. Bei Thrombozyten <30.000/µl und Serumkreatinin ≤1,8 mg/dl ist die Spezifität für eine TTP über 90 %. Falls eines oder beide Kriterien nicht erfüllt werden, ist eine TTP sehr unwahrscheinlich (negativer prädiktiver Wert von 98 % bzw. 92 %) [6]. Mit dem „PLASMIC Score“ können Patienten bis zum Vorliegen der ADAMTS13-Testung in ähnlicher Weise stratifiziert werden [11]. In jedem Fall muss die Diagnose einer TTP durch die Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität bestätigt werden.  Komplementdiagnostik: Bei Patienten mit aHUS ist C4 in der Regel normal, C3 kann bei 30–50 % der Fälle erniedrigt sein. C3 kann aber auch in der akuten Phase bei STEC-HUS reduziert sein [12, 13]. Testung des Komplementsystems kann die aHUS-Diagnose bestätigen, normale Komplementspiegel schließen ein komplementvermitteltes aHUS nicht aus [3, 4]. Eine Bestimmung von Komplementfaktoren erlaubt daher keine sichere Differenzierung der TMA. Genetische Untersuchungen: Der Nachweis einer Mutation im Komplementsystem ist für die aHUS-Diagnose nicht erforderlich, da nur in etwa 50–70 % der Fälle Mutationen in einem oder mehreren Genen des Komplementsystems (Faktor H, Faktor I, MCP, C3 u.a.) identifiziert werden. Bei circa 10 % der Patienten bestehen Antikörper gegen Faktor H [14, 15]. Interessant ist, dass Mutationen in komplementregulierenden Genen bei Patienten mit maligner Hypertonie [8], schwangerschaftassoziierter TMA [16], STEC-HUS [17] gefunden wurden. Dies verdeutlicht die möglichen pathogenetischen Überschneidungen verschiedener TMA.  Nierenbiopsie: Die TMA-Morphologie in der Nierenbiopsie lässt nicht zuverlässig auf die Ätiologie schließen. Soweit klinisch durchführbar, können mit dem Ergebnis der Nierenbiopsie andere Erkrankungen ausgeschlossen und eventuell die renale Prognose abgeschätzt werden [3]. Kernaussagen Eine TMA ist eine Systemerkrankung, die oft die Nieren, das ZNS- und den Gastrointestinaltrakt betrifft.Eine detaillierte Anamnese, körperliche Untersuchung und ein systematisches Vorgehen erlauben zusammen mit gezielten Laboruntersuchungen systemische sekundäre TMA nachzuweisen, die in der Regel ursächlich behandelt werden.Die Differenzierung der unterschiedlichen Ursachen einer TMA muss bei den verfügbaren Differenzialtherapien rasch erfolgen.Das aHUS tritt häufig im Kontext von komplementverstärkenden Triggern auf, dessen klinischen Diagnose durch den Ausschluss anderer TMA gestützt wird. Eine empirische Therapie bei Verdacht auf TTP sollte bei fehlenden alternativen Erklärungen trotz ausstehender Befunde (z. B. ADAMTS13-Aktivität) nicht verzögert werden. Bei Thrombozyten >30.000/µl und/oder Serumkreatinin >1,8 mg/dl ist ein schwerer ADAMTS13-Mangel allerdings unwahrscheinlich.     Interessenkonflikt Prof. Dr. Schröppel erhielt Honorare als Berater und/oder Vorträge von AMGEN, Alexion Pharmaceuticals, Vifor Pharma, Pfizer, Novartis, Sanofi, Astellas Pharma sowie Honorare für Studienunterstützung (Drittmittel) von Sanofi und Pfizer.     ReferenzenBommer M, Wolfle-Guter M, Bohl S, Kuchenbauer F. The differential diagnosis and treatment of thrombotic microangiopathies. Dtsch Arztebl Int 2018; 115(19): 327–34.Brocklebank V, Wood KM, Kavanagh D. Thrombotic microangiopathy and the kidney. Clin J Am Soc Nephrol 2018; 13(2): 300–17.Goodship TH, Cook HT, Fakhouri F et al.; Conference Participants. Atypical hemolytic uremic syndrome and C3 glomerulopathy: conclusions from a “Kidney Disease: Improving Global Outcomes” (KDIGO) Controversies Conference. Kidney Int 2017; 91(3): 539–51.Fakhouri F, Zuber J, Frémeaux-Bacchi V, Loirat C. 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Bernd Schröppelbernd.schroeppel@uniklinik-ulm.de               aus connexi  7-2019 NEPHROLOGIEHYPERTENSIOLOGIEDIALYSETRANSPLANTATIONBIOMARKER der kardiorenalen AchseKongressberichte       Titelbild Copyright: Science Photo Library / Jose Calvo, Fotolia / Janis Smits. Gestaltung: Jens Vogelsang     
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