Neuro-AIDS und Neuroinfektiologie
Anja Lamprecht
Opportunistische Infektionen am Nervensystem – Gibt es Neues? von Matthias Maschke, Trier Opportunistische Infektionen (OI) treten als typische Erkrankungen bei geschädigtem Immunsystem auf und können wegweisend für die Diagnostizierung einer vorhandenen Abwehrschwäche sein. Additive Faktoren wie Komorbiditäten, mangelnde Adhärenz oder Resistenz gegen Medikamente der ART erhöhen das Risiko für OI. Zu Beginn der Behandlung von Patienten mit HIV und AIDS waren opportunistische Infektionen des ZNS häufig und mit einer hohen Mortalität verbunden. Nach Beginn der antiretroviralen Therapiemöglichkeiten sank die Inzidenz bereits in den 1990er-Jahren deutlich ab. Die Inzidenz der zu Anfang häufigsten opportunistischen Infektion des ZNS, der Toxoplasma-Enzephalitis, reduzierte sich mit der Verfügbarkeit antiretroviraler Medikamente von 5,7 % in den Jahren 1995/1996 auf 2,2 % in den Jahren 1997/1998 [1]. In den letzten zwei Jahrzehnten kam es dann durch die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie (cART) zu einem weiteren drastischen Rückgang der opportunistischen Infektionen des ZNS [2, 3]. Die UK Collaborative HIV Cohort (CHIC)-Studie wie auch andere Studien konnten nachweisen, dass die Inzidenz aller ZNS-Komplikationen inklusive der opportunistischen Infektionen von 13,1/1.000 Patientenjahre im Jahr 1996/1997 auf 1,0/1.000 Patientenjahre in 2006/2007 abnahm [4−6]. Die häufigsten opportunistischen Infektionen waren die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) (0,7/1.000 Patientenjahre), die Toxoplasma-Enzephalitis (0,4/1000 Patientenjahre), gefolgt von der Kryptokokken-Meningitis (0,2/1.000 Patientenjahre). Pathophysiologie Opportunistische Infektionen sind ein Anzeichen für ein bereits deutlich reduziertes Abwehrverhalten des Immunsystems bei Menschen mit HIV-Infektion. Etwa ein Drittel der Infektionen treten daher bei CD4+-Zellzahlen unter 200/µl auf [7]. Darüber hinaus sind eine hohe Viruslast, Komorbiditäten gerade bei älteren Menschen mit HIV-Erkrankung, die Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente, eine schlechte Adhärenz sowie der Gebrauch von Drogen und Alkoholabhängigkeit additive Risikofaktoren [8]. Der Phänotyp der opportunistischen Infektion hat sich durch die moderne cART deutlich gewandelt [2, 3]. Gerade nach Initiierung einer cART kommt es häufig zu entzündlichen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems. Daraus resultierenden Erkrankungen sind sog. inflammatorische Immunrekonstitutionssyndrome (IRIS). Diese IRIS sind extrem schwer von der eigentlichen opportunistischen Infektion abzugrenzen, so dass häufig ein diagnostisches und daraus resultierend therapeutisches Dilemma entsteht. Toxoplasma-Enzephalitis Die Toxoplasma-Enzephalitis wird durch Reaktivierung einer persistierenden Infektion mit Toxoplasma gondii ausgelöst. Der Beginn ist meist subakut über mehrere Tage bis Wochen, seltener akut innerhalb eines Tages [5−10]. Fokale neurologische Ausfälle (z. B. Hemiparese, Hemianopsie, Hirnstammsymptome, zerebelläre Ataxie) sind zumeist neben Kopfschmerzen und Fieber die Initialsymptome. Computertomografisch finden sich oft multifokale, ringförmig kontrastmittelaufnehmende Läsionen mit perifokalem Ödem. Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist der CT überlegen [12, 13]. Die Polymerase-Ketten-Reaktion für den Nachweis von Toxoplasma gondii aus Liquor oder Serum ist durch eine geringe Sensitivität (25−50 %) bei hoher Spezifität (100 %) gekennzeichnet. Serologische Untersuchungen (ELISA und Immunosorbent-Agglutinations-Assay/ISAGA) auf IgG- und IgM-Antikörper sind bei HIV-Patienten ebenfalls mit einer hohen Rate falsch negativer oder falsch positiver Resultate verbunden [10, 14]. Die Diagnose wird aus der Kombination klinischer und typischer radiologischer Befunde sowie anhand des klinischen und radiologischen Ansprechens auf die bei Verdacht begonnene antiparasitäre Therapie gestellt. Bei mehr als 70 % der Patienten, die wegen des Verdachts auf eine Toxoplasma-Enzephalitis behandelt werden, zeigt sich nach sieben Tagen eine klinische Verbesserung. Bei klinischem und radiologischem Verdacht auf eine Toxoplasma-Enzephalitis wird mit einer probatorischen Therapie begonnen. Die Standardtherapie besteht aus Pyrimethamin p.o. und Sulfadiazin p.o. [15−19]. Die Effektivität dieser Therapie wird je nach Studie mit 75−89 % angegeben. Bei einer Sulfonamidtherapie sollte Sulfadiazin durch Clindamycin ersetzt werden. Aktuell gibt es keine vergleichende Studie, die die Überlegenheit einer der vorgenannten Therapieoptionen beweist [20]. Zu beachten ist auch, dass es bei der Toxoplasma-Enzephalitis wie bei anderen opportunistischen Infektionen zu einem IRIS mit einer paradoxen Verschlechterung der Symptome nach Beginn der antiparasitären Therapie und der cART kommen kann [21]. Die Rate scheint dabei für ein Toxoplasma IRIS bei 3,5 % zu liegen [22]. Wie lange die Erhaltungstherapie gegeben werden muss, ist nicht eindeutig geklärt. Die derzeitige Empfehlung lautet, dass bei einer CD4+-Zellzahl von über 200/µl über mindestens drei bis sechs Monate und fehlender Symptomatik für eine aktive Toxoplasma-Enzephalitis die Sekundärprophylaxe abgesetzt werden kann [15, 16]. Kryptokokken-Meningitis Die Kryptokokken-Meningitis ist auch unabhängig von HIV die häufigste invasive Pilzinfektion weltweit. Die durch eine invasive Kryptokokkose bedingten Todesfälle belaufen sich nach epidemiologischen Untersuchungen jährlich auf 181.000 [23]. Dabei gibt es starke regionale Unterschiede mit den häufigsten Todesfällen in Südafrika und Nigeria [24]. In Deutschland lässt sich bei Patienten mit HIV v. a. Cryptococcus neoformans nachweisen, seltener Cryptococcus gattii [25]. Die Therapie ist nach wie vor nach den CDC Guidelines und den DGN Leitlinien mit Amphotericin B oder liposomalem Amphotericin B plus Flucytosin als Induktionstherapie über zwei Wochen zu beginnen [26, 27]. Anschließend erfolgt eine Konsolidierung des Therapieerfolges mit Fluconazol über acht Wochen und eine Erhaltungstherapie mit Fluconazol in reduzierter Dosis über mindestens ein Jahr. Als Komplikation der Erkrankung tritt bei etwa 50 % der Patienten ein erhöhter Hirndruck >25 cm H2O auf. Insofern sollte zu Beginn der Behandlung eine Liquordruckmessung und ggf. ein Ablassversuch erfolgen [26, 27]. Der Druck sollte anschließend alle zwei Tage kontrolliert werden, bis er auf Normalwerte gefallen ist. Alternativ kommt bei sehr gutem Ansprechen der Kryptokokken-Meningitis auf die Induktionstherapie die Anlage einer lumbalen Drainage oder eines permanenten VP-Shunts in Frage. Eine weitere, häufig und potenziell lebensbedrohliche Komplikation stellt das kryptokokkenbedingte IRIS dar, welches je nach Studie in 30−70 % der HIV-Patienten zu finden ist [28]. Radiologisch kommt es beim IRIS zu teilweise flächigen, kontrastmittelaufnehmenden Veränderungen intraparenchymatös oder auch der Meningen, häufig auch zu einer Lymphadenitis [29]. Als Therapie wird die Gabe von Prednison für zwei bis vier Wochen empfohlen. Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) Die PML wird durch die Infektion von Oligodendrozyten durch das JC-Virus ausgelöst. Das Virus wurde erstmals 1971 isoliert und ist nach den Initialen des ersten Patienten benannt. Zu Beginn der HIV-Therapie war die PML eine zumeist letale Erkrankung mit einer Lebensdauer von unter sechs Monaten. Durch die Einführung der antiretroviralen Therapie kam es dann zu einer entscheidenden Besserung der Prognose [30−32]. Eine frühe Initiierung einer cART mit bis zu fünf Substanzen inklusive von Fusionsinhibitoren führte zu einer 1-Jahresüberlebensrate von 75 % [32]. Der klinische Beginn ist subakut mit kognitiven Defiziten, visuellen Störungen (Quadrantenanopsie, Hemianopsie), Mono- oder Hemiparesen sowie Sprach- oder Sprechstörungen als häufigste Initialsymptome. Eine Ataxie, Schwindel, Kopfschmerzen und Anfälle kommen in geringerer Häufigkeit vor, wobei eine rein infratentorielle PML möglich ist [33]. Die Kernspintomografie ist sensitiver als das cCT in der Detektion PML-typischer Veränderungen. Typischerweise werden in der T2-Wichtung hyperintense Veränderungen des Marklagers unter Einschluss der U-Fasern gefunden, die sich in der T1-Wichtung hypointens darstellen [8, 34]. Neuere Bildgebungstechniken („b-Value“-diffusionsgewichtete Kernspintomografie; Suszeptibilitätsartefakt-gewichtete Sequenzen) eröffnen bessere diagnostische Möglichkeiten [35, 36]. Ein Direktnachweis der JC-Virus-DNA im Liquor gelingt über eine PCR mit einer Sensitivität von 74−90 % (nested PCR, höhere Sensitivität durch serielle Untersuchungen) und Spezifität von 99 % [37, 38]. Mittlerweile kommt es in etwa der Hälfte der HIV-Patienten mit einer PML nach Initiierung einer cART zu einer Remission ohne weitere Verschlechterung der neurologischen Defizite. Darüber hinaus gab es zunächst Hinweise, dass Cidofovir das Überleben verlängert [15, 32]. Demgegenüber stehen aber mehrere, teilweise randomisierte Studien, die keine Überlegenheit der Kombinationstherapie cART/Cidofovir gegenüber cART allein zeigen konnten [15, 39]. Insofern gibt es derzeit keine Empfehlung für den Einsatz von Cidofovir. Neuere Fallserien zeigten eine mögliche Wirksamkeit von Pembrolizumab (über PD-1 Blockade) und Nivolumab (Checkpoint Inhibitor) [40, 41]. COGITATIO Welche Aussage zum Thema opportunistischer Infektionen bei HIV trifft heutzutage zu? Opportunistische Infektionen treten dank der modernen Therapie nicht mehr auf. Ein Immunrekonstitutionssyndrom ist problemlos von einer opportunistischen Infektion zu unterscheiden. Die Toxoplasma-Enzephalitis ist neben der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie am häufigsten. Die Lösung finden Sie auf dieser Seite als Fußnote. Literatur: media/Literaturliste_connexi-2-2021_AIDS_und_COVID_Litaratur_Maschke.pdf Blogbild-Copyright: Shutterstock / Kateryna Kon. Autor: Prof. Dr. med. Matthias Maschkem.maschke@bk-trier.de aus connexi 2-2021 AIDS, COVID-19, INFEKTIOLOGIE TITELBILD Copyright: Mauritius images / Science Source, Shutterstock / tai11, Shutterstock / Alexander Ryabintsev. Gestaltung: Jens Vogelsang Lösung zum COGIATIO-Rätsel: Antwort 3.