Dyslipidämien

Neue Therapiemöglichkeiten von Fettstoffwechselerkrankungen von Paulina Stürzebecher und Ulrich Laufs, Leipzig   Atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Die LDL-Hypercholesterinämie und die Hypertriglyceridämie gehören zu den wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktoren. Neue Medikamentenzulassungen bieten die Perspektive einer individualisierten Therapie von Dyslipidämien.  Bempedoinsäure Im November 2020 wurde das Armamentarium der lipidsenkenden Therapieoptionen durch die Markteinführung der Bempedoinsäure signifikant erweitert. Es handelt sich um einen Adenosin-Triphosphat (ATP)-Citrat-Lyase-Inhibitor (ACLY), der in die Kaskade der Cholesterinsynthese oberhalb der HMG-CoA-Reduktase eingreift und die hepatische Cholesterinsynthese hemmt sowie die Synthese von Fettsäuren reguliert. Bempedoinsäure ist ein Prodrug, welches durch das Enzym ACSVL1 (very-long-chain-acyl-CoA-synthetase 1) in der Leber aktiviert wird. ACSVL1 wird in der Skelettmuskulatur nicht exprimiert [1]. Die Sub­stanz könnte daher insbesondere für Patienten mit statinassoziierten Muskelschmerzen (SAMS) eine Therapieoption darstellen und wird entsprechend bei diesen Patienten untersucht (Abbildung 1).    Abbildung 1: Wirkmechanismus der Bempedoinsäure. Das Prodrug wird durch die ACSVL1 (Acetyl-CoA Synthase 1) in die aktive Form transformiert. Durch Hemmung der ACL (ATP-Zytratlyase) entsteht weniger Acetyl-CoA. Damit wird über die Reduktion der Cholesterin­synthese-Kaskade weniger Cholesterin intrahepatisch produziert. Statine greifen in der gleichen Kaskade auf Höhe der HMG-CoA-Reduktase hemmend ein. Dieses Enzym wird auch in der Muskulatur exprimiert. Es wird diskutiert, dass eine Hemmung der Mevalonat-Synthese und folgender biologischer Intermediate Muskelbeschwerden – eine häufige Nebenwirkung unter Statintherapie – bedingen könnte. Das Enzym ACSVL1 kommt hingegen in der Muskulatur nicht vor, sodass die Bempedoinsäure nicht in der Muskulatur wirken kann. Eine Reduktion von Myotoxizität und damit eine Therapieoption für Patienten mit statinassoziierten Muskelschmerzen wird durch den Mechanismus erhofft.  Genetische Analysen (Mendelsche Randomisierung) sagen eine, den Statinen vergleichbare, klinische Wirksamkeit auf das Lipid-Profil und kardiovaskuläre Ereignisse pro mg/dl LDL-Cholesterinsenkung voraus. Da Statine und die Bempedoinsäure im gleichen Syntheseweg angreifen, ist die LDL-Senkung bei Kombination beider Präparate geringer (ca. 18 %) als in der Monotherapie (ca. 25 %). Eine synergistische Wirkung besteht bei gleichzeitiger Hemmung der enteralen Cholesterinresorption. Daher stellt die Kombination von Bempedoinsäure und Ezetimib eine sinnvolle Therapieoption dar und erreicht eine LDL-Cholesterin-Senkung von 45 % bei statinnaiven bzw. 36 % zusätzlich zu Statinen [2]. Bempedoinsäure ist als Kombinationspräparat mit Ezetimib erhältlich. Die vorliegenden Studiendaten zeigen eine gute Sicherheit und Verträglichkeit, ähnlich einem Placebo. Durch Hemmung des renalen OAT2-Transporters kann es zu einem geringen Anstieg der Harnsäure und damit einem Gichtrisiko kommen. Bei Beendigung der Einnahme ist der Effekt reversibel. Es wurde – anders als bei Statinen – kein Trend zu einer Verschlechterung der Glukosetoleranz beobachtet. Vielversprechend ist zudem die gute Verträglichkeit, die sich insbesondere auch in dem komplexen Patientenkollektiv mit „Statin-Intoleranz“ mit Placebo vergleichbar zeigte. Die Ergebnisse der Endpunktstudie CLEAR­Outcomes mit über 14.000 eingeschlossenen Pa­tien­ten mit statinassoziierten Beschwerden werden 2022 erwartet.  Inclisiran Es befinden sich mehrere neue Lipidtherapeutika auf Basis der RNA-Interferenz in klinischer Prüfung bzw. Zulassung [3]. Mit Inclisiran ist seit Februar 2021 eine small inhibiting RNA zur Hemmung von intrazellulärem PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9) in Deutschland erhältlich. Inclisiran bindet in der Leber intrazellulär die mRNA von PCSK9 und bedingt deren gezielten Abbau, sodass das kodierte Protein nicht mehr produziert wird. Da PCSK9 die lysosomale Degradation des LDL-Rezeptors fördert, führt die Inclisiran vermittelte Reduktion von PCSK9 zu einer Steigerung der LDL-Rezeptor-Expression und damit einer Senkung des LDL-Cholesterins im Serum (Abbildung 2) [4].   Abbildung 2: Wirkmechanismus von Inclisiran. Das PCSK9-Protein fördert durch Binden des LDL-Rezeptors dessen lysosomalen Abbau in Hepatozyten. Das Medikament Inclisiran besteht aus einem Sense- und Antisense-Strang zur PCSK9-mRNA. Um eine Stabilisierung sowie die hepatische Aufnahme des Medikaments zu ermöglichen, erfolgt die Kopplung an einen spezifischen Zucker (GalNAc). Nach Aufnahme in den Hepatozyten bindet der RNA induced silencing complex (RSIC) den Antisense-Strang von Inclisiran. In der Folge wird die mRNA von PCSK9 abgefangen und degradiert. Die Produktion des kodierten Proteins wird durch die reduzierte Translation der mRNA verringert. Eine Reduktion von PCSK9 ermöglicht eine erhöhte Recyclingrate des LDL-Rezeptors und damit eine gesteigerte LDL-Aufnahme aus dem Blutstrom.  Die Substanz kann eine 50–60%ige Senkung des LDL-Cholesterins zusätzlich zu einer maximalen oralen Therapie mit Statinen und Ezetimib erreichen. Die große Endpunktstudie ORION-4 zur Untersuchung der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse läuft. In den aktuell vorliegenden Daten zeigt sich kein klinisch relevantes Sicherheitsdefizit. Die Verträglichkeit liegt auf Placeboniveau.Mit Evolocumab und Alirocumab stehen bereits seit einigen Jahren zwei monoklonale Antikörper zur medikamentösen Inhibierung von PCSK9 zur Verfügung. Der prinzipielle Unterschied zwischen den Antikörpern und der siRNA liegt in der intrazellulären Hemmung von PCSK9 durch die siRNA, während die Antikörper PCSK9 extrazellulär hemmen. Die Antikörper werden alle zwei Wochen subkutan injiziert, prinzipiell ist auch eine Gabe einer höheren Dosis alle vier Wochen möglich. Aufgrund der langanhaltenden Wirkdauer der siRNA Inclisiran ist eine subkutane Injektion drei Monate nach der ersten Gabe und dann nur alle sechs Monate ausreichend. Es besteht die Hoffnung, dass durch niedrigere Produktionskosten und Wettbewerb der Preis der Substanzklasse, der eine der Hürden in der Therapie darstellt, über die nächsten Jahre fallen könnte. Neben Inclisiran zur LDL-Chole­ste­rin-Senkung werden auch erstmalig neue RNA-Medikamente zur spezifischen Triglycerid- und Lp(a)-Senkung in Studien erprobt.  Omega-3-Fettsäuren Neben der LDL-Hypercholesterinämie ist auch die Hypertriglyceridämie mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Der Einsatz und die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäure-Präparaten in diesem Kontext ist umstritten. In der REDUCE-IT-Studie aus dem Jahr 2019 wurden mehr als 8.000 Patienten mit Atherosklerose und erhöhten Triglyceriden mit der spezifischen Omega-3-Fettsäure Icosapent-Ethyl (EPA) in reiner Form und in hoher Dosierung (4 g pro Tag) im Vergleich zu Mineralöl als Placebo über knapp fünf Jahre hinweg behandelt. Die Hypertriglyceridämie als Einschlusskriterium erhöht das Lipid-bezogene Risiko des Kollektivs, war aber nicht das Therapieziel. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko mit einer 25%igen Reduktion der primären Endpunkte (Myokardinfarkt, kardiovaskulärem Tod und Schlaganfall) und auch der Rate an Revaskularisierungen. Diese Effekte sind nicht durch eine Triglycerid-Senkung erklärt. Der genaue Wirkmechanismus von EPA ist unvollständig verstanden, jedoch vermutlich dosisabhängiger Natur. Es zeigte sich eine gute Verträglichkeit und Sicherheit der Substanz, bei jedoch leicht erhöhter Rate an Vorhofflimmern in der Interventionsgruppe [5]. Die Daten von REDUCE-IT werden durch die ältere JELIS-Studie unterstützt, die bei japanischen Patienten mit Hypercholesterinämie in einem nicht-verblindeten, randomisierten Design mit 1,8 g EPA zusätzlich zu Statinen eine 19%ige relative Risikoreduktion für koronare Ereignisse berichtet hatte. JELIS hatte keine Placebokontrolle. Zum Teil kritisch diskutiert wurden die Daten zu isoliertem EPA nach Publikation der großen STRENGTH-Studie im Jahr 2020, in der ein Mischpräparat aus hochdosiertem EPA und Docosahexaensäure (DHA) mit einem Mais­öl-Placebo verglichen wurde. STRENGTH zeigte im Gegensatz zu REDUCE-IT ein neutrales Ergebnis. Auch eine weitere Studie mit einem hochdosiertem Mischpräparat (OMEMI) war neutral. In den drei Studien REDUCE-IT, STRENGTH und OMEMI wurde eine geringe Erhöhung von Vorhofflimmern beobachtet. Zusammengefasst liegen mit JELIS und REDUCE-IT zwei positive Studien für Icosapent-Ethylsäure in reiner Form vor. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat Mineralöl als Vergleichssubstanz akzeptiert. Selbst im Falle eines gewissen Nocebo-Effektes bliebe die Studie positiv. Die Erhöhung der EPA-Serumkonzentration in STRENGTH und OMEMI war weniger stark ausgeprägt als in REDUCE-IT, daher könnte es sein, dass hier ein Dosisproblem vorliegt. Auf dem Boden von experimentellen Daten kann diskutiert werden, ob DHA möglicherweise positive Effekte von EPA aufhebt, hier ist jedoch eine endgültige Interpretation der Datenlage schwierig. Offen bleibt der genaue zelluläre Mechanismus von EPA. Festzuhalten ist, dass in allen Studien die Omega-3-Fettsäuren eine ausgezeichnete Verträglichkeit und Sicherheit aufwiesen. Weitere grundlagenwissenschaftliche und klinische Studien sind wünschenswert.     Abbildung 3: Neue Therapiemöglichkeiten von Fettstoffwechselerkrankungen.   Fazit Basierend auf der Wirkweise stellt die Bempedoinsäure eine vielversprechende Therapieoption insbesondere für Patienten mit statinassoziierten Muskelschmerzen dar. Im Bereich der PCSK9-Hemmung steht neben den PCSK9-Antikörpern Evolocumab und Alirocumab seit Februar 2021 mit Inclisiran eine small inhibiting RNA zur Hemmung von intrazellulärem PCSK9 mit einer Wirkdauer von sechs Monaten zur Verfügung. Die REDUCE-IT-Studie zeigt eine deutliche Risikoreduktion durch reines EPA in hoher Dosierung. Weitere Studien müssen noch offene Fragen zum Thema der Omega-3-Fettsäuren klären (Abbildung3).       ReferenzenPinkosky SL, Newton RS, Day EA et al. Liver-specific ATP-citrate lyase inhibition by bempedoic acid decreases LDL-C and attenuates atherosclerosis. Nat Commun 2016; 7: 13457.Katzmann J, Laufs U. Bempedoinsäure – Wirkmechanismus und klinische Studien. Aktuel Kardiol 2020; 9: 381–6.Katzmann JL, Packard CJ, Chapman MJ et al. Targeting RNA with antisense oligonucleotides and small interfering rna: JACC State-of-the-Art Review. J Am Coll Cardiol 2020; 76(5): 563–79.Cupido AJ, Kastelein JJP. Inclisiran for the treatment of hypercholesterolaemia: implications and unanswered questions from the ORION trials. Cardiovasc Res 2020; 116(11): e136–9.Bhatt DL, Steg PG, Miller M et al; REDUCE-IT Investigators. Cardiovascular Risk Reduction with Icosapent Ethyl for Hypertriglyceridemia. N Engl J Med 2019; 380(1): 11–22.  Bild Copyright:  Shutterstock / hywards Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge im e-Paper !  Autor:   Paulina Stürzebecherpaulina.stuerzebecher@medizin.uni-leipzig.de      Prof. Dr. med. Ulrich Laufsulrich.laufs@medizin.uni-leipzig.de      Lesen Sie weitere Beiträge direkt im e-Paper (Link links) der Ausgabe connexiplus 2021-3 über die Kardiorenale Achse    Weitere Beiträge zu diesem Thema   Senkung des LDL-Cholesterins mit PCSK9-Inhibitoren - Aktuelle Evidenzlage und kardiologische Indikationenvon Paulina Stürzebecher und Ulrich Laufs, Leipzig 2021 Spezifische Therapie der Lipoprotein(a)-Hyperlipoproteinämie auf dem Vormarsch von Romy Langhammer und Ulrich Laufs, Leipzig2021 LDL-Senkung mit PCSK9-Hemmung - Was sagen die Leitlinien? von Ulrich Laufs, Winfried März2018   Darmflora beeinflusst die Wirkung von CholesterinsenkernQuelle: DGK2018   Prävalenz von Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie in kardiologischen Praxenvon Ulrich Laufs, Homburg an der Saar2016   Weitere Beiträge dieses Autors   Senkung des LDL-Cholesterins mit PCSK9-Inhibitoren – Aktuelle Evidenzlage und kardiologische Indikationen von Paulina Stürzebecher und Ulrich Laufs, Leipzig 2021   COVID-19 und Herz - Kardiovaskuläre Komplikationen in der Pandemie von Paul Baum und Ulrich Laufs, Leipzig2021   Spezifische Therapie der Lipoprotein(a)-Hyperlipoproteinämie auf dem Vormarsch von Romy Langhammer und Ulrich Laufs, Leipzig2021   Quantitative Koronarangiographie - Angiogrammbasierte Charakterisierung von Koronarstenosen von Karsten Lenk und Ulrich Laufs, Leipzig2021   LDL-Senkung mit PCSK9-Hemmung - Was sagen die Leitlinien? von Ulrich Laufs, Winfried März2018   Prävalenz von Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie in kardiologischen Praxenvon Ulrich Laufs, Homburg an der Saar2016  
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